Deprivolte gegen die Moderne Welt
Dieser Artikel erschien Mitte 2015 ursprünglich in 4 Teilen:
Jeder Text und jedes Gespräch öffnet einen geistigen Raum, der die „Teilnehmer“, hier Autor und Leserschaft, verbindet. Diese Buchstaben, Worte und Zeilen, die eine Art „gefrorener Gedanke“ sind, werden vom Lesenden, von Dir, erneut „aufgeschmolzen“ entfaltet und als Denkweg nachvollzogen. Dieser rationale Prozess setzt sich von Wort zu Wort, von Bestandteil zu Bestandteil fort und versucht gleichzeitig das „Ganze“, die Struktur und Argumente dahinter zu verstehen, was bei den selbstreferentiellen Funke-Textwänden wohl nur mehr oder weniger gut gelingt.
Gleichzeitig zu diesem steuerbaren und willentlichen Prozess findet aber auch etwas Anderes, wesentlich Geheimnisvolleres statt. Gleichzeitig zu allem unserem Denken und Wollen läuft etwas anderes ab, begleitet uns ein geheimnisvolles Phänomen, dem wir uns in diesem Text annähern wollen: die Stimmung.
Die Stimmung
Die Stimmung, die der Schreiber dieser Zeilen fühlt, die eigene Stimmung die jeder beim zeitversetzen Lesen verspürt, ist grundsätzlich unserem Wollen entzogen. Sie ist auch unserem Begreifen und Verstehen entzogen. Sie ist dabei aber nichts „Unvernünftiges“.
Eine echte Vernunft, die wie ihr Wortstamm sagt, vom „vernehmen“ kommt, öffnet sich auch der Stimmung, die „zwischen den Zeilen“ eines Texte mitschwingt, sie erfährt so das, was sich weder aus Bestandteilen noch Struktur erschließt und dennoch zum Ganzen gehört.
Die Stimmung in denen ein Text, ein Gedicht und ein Bild ensteht, ist jeweils in das Werk eingelassen und entfaltet sich, je nach der Kunstfertigkeit des Erschaffers und der Tiefe der Stimmung, im Erlebnis des Betrachters (vorausgesetzt er verfügt über die Kunst des Lesens und den nötigen geistigen „Tiefgang“.)
Doch um diese theoretischen Fragen soll es in diesem Text selbst nicht gehen. Sie sollen uns lediglich ein Aufriss sein aus dem die Frage der „Stimmung“ beginnen kann. Über ihr wollen wir uns der Grundstimmung der Modernen Welt, der Stimmung des rechten Lagers und der metapolitischen Bedeutung der Stimmung selbst annähern.
Wie gesagt ist die Stimmung etwas, in dem wir uns jeweils schon vorfinden. Erst wenn wir sie uns bewusst machen wird sie überhaupt zum „Gegenstand“ des Denkens. Vorher ist sie wie ein Äther, wie ein Grundzustand, der all unsere Erlebnisse „einfärbt“, indem sich die Strahlen aller Sinneserfahrungen brechen. (Die „rosa Brille“ bezieht sich auf das.)
Wir wachen bereits in einer Stimmung auf. Hinausgeworfen aus der Welt von Schlaf und Traum stehen wir mit dem „richtigen“ oder dem „falschen“ Fuß auf, wir sind „gut“ oder „schlecht drauf“. Woher das kommt wissen wir nicht. Wir wissen auch nicht wie wir es „halten“ können.
Klar ist, dass man diese Stimmungen auch „messen“ kann Wir kennen sie, die Endorphine, Dopamine, und wie die Namen für die physikalischen Phänomene, die unser Gestimmtsein begleiten, sonst heißen mögen. Über die Zufuhr von Substanzen, wir alle kennen und tun es, können wir unsere Stimmung manipulieren. Vom Alkohol, über Nikotin, bis zur Schokolade, schrauben wir mit der Zufuhr von bestimten Reizen jeden Tag künstlich und so gut es geht an unserem Stimmungen herum.
Doch diese materielle Beeinflussbarkeit, und der materielle „Niederschlag“ als chemischer Zustand determinieren und definieren die Stimmung nicht abschließend. Wir stoßen hier auf den unhintergehbaren Grund aller „Geist-Materie“ Debatten:
Es liegt am Ende ein reiner Parallelismus vor. Wir sehen, dass das „geistige“ Phänomen der erlebten guten oder schlechten Stimmung regelmäßig von dem „materiellen“ Phänomen gewisser Hormonausschüttungen und Pegelschwankungen begleitet ist . Was aber genau „verantwortlich“ ist, was was dominiert ist nicht nur unbekannt, es ist unfeststellbar..
Wir sehen nämlich auch, dass „geistige Einflüsse“ die Stimmung und damit den Hormonspiegel verändern können. Die Stimmung die seltsam zwischen den Gedanken und dem Körpergefühl schwingt, beeinflusst beide und wird von beiden beeinflusst.
Gut „aufgelegt“, fühlen wir uns wohl. Chronische Leiden, etwa Verspannungen spüren wir nicht, uns kommen gute Gedanken. Bringt uns nun jemand andere auf schlechte Gedanken, tritt eine unangenehme Aussicht auf, verschlechtert sich diese Stimmung. Sie ist nicht nur materiell sondern auch „geistig“ beeinflussbar, und diese Beeinflussung zeigt einen materiellen niederschlag. Das Phänomen des Erlebens und das menschliche Dasein lässt sich schematisch in eine „geistige“ und „materielle“ Seite einteilen. So weit, so verzerrt. Keinesfalls ist es aber auch noch auf eine dieser konstruierten Seiten zu reduzieren.
Was wir primär auf der „geistigen Seite“ erleben und was durch „materielle Einflüsse“ seltener geschieht ist das plötzliche Umschlagen der Stimmung. Die Stimmungsschwankung, der Sturz von der herrlichsten Leichtigkeit und Aufgeräumtheit, in die Beklemmung und Enge, das schwanken von begeisterter Aufbruchsstimmung, zu antriebsloser Apathie- wer hat das noch nicht miterlebt?
Und oft ist es gerade das Festhalten und Nachdenken über eine erlebte „gute Stimmung“, das sie zum erliegen, das sie wie eine Schneeflocke die man fängt, zum Schmelzen bringt und nur als feuchte Kälte zurückbleibt.
Eine These und Intention dieses Textes, baut darauf, das ein Großteil der Leser diese Erfahrung schon gemacht hat. Dass sie erlebt haben wie sich eine gute Stimmung augenblicklich entzogen hat, wie ein Kleinigkeit ausreichte um die beste Laune zu zerstören und einem aus der Begeisterung „heraus“ zu werfen. Wie endlich ganze Tage, oder gar Wochen in einer gleichgültigen, antriebslosen, grauen Apathie und Schwere verfliegen und sich ein tiefer Lebensüberdruß langsam in alle Knochen frisst..
Wir – und hier ist die Gemeinschaft zwischen Autor und vernüftig-vernehmenden Lesern, nicht auf die Ratio sondern auf die Stimmung bezogen – wir haben das alles erlebt. Wir sind bis ins letzte von unserer Stimmung beeinflusst und diese ist nicht immer gut.
In den letzten Wochen erschienen viele launige Beiträge in denen einige „Rechte Typen“ vorgestellt wurden. Weitere werden folgen. Die Bescheibungen sind Früchte langjähriger Erfarung in der „Szene“, oder Collagen gängiger Klischees. Müsste der Autor dieser Zeilen jedoch ein Charakterbild auswählen, das insgesamt typisch und symptomatisch für die rechten Zusmmenhänge ist, so wäre das ohne jedes Zögern: die manische Depression.
Wir wollen uns hier nicht mit Fachlatein quälen und professionelle Psychologen mögen es uns nachsehen. Doch die manische Depression, der jähe Wechsel von antriebsloser Apathie und besessener Getriebenheit, von himmelhohem Jauchzen und tödlicher Betrübtheit tritt in tausend rechten Typen und Charakteren als Grundzug hervor. Kratzt man etwas am schicken Lack des harten Aktivisten offenbar sich bei vielen eine tiefe Innere Verzweiflung.
Sie ist und das ist ein Grundgedanke dieses Textes, nicht nur ein Merkmal der Rechten. Dieses Extrem der Stimmungsschwankung und die Unfähigkeit im Umgang mit ihrer radikalen Aufballung und ihrer plötzlichen Erschlaffung, ihrem brutalen Überfall und ihrem grausamen Entzug- es ist ein Grundzug unsere ganzen Zeit und Gesellschaft. Es ist die Grundstimmung des neuzeitlichen Subjekts, des letzte Menschen im „death of the west“. Wir haben in einigen Artikeln dem Hedonismus und Nihilismus dieser Zeit auf den fauligen Zahn gefühlt.
Die Analysen, die ihre gesellschaftspolitischen Folgen; die Dekadenz und den Ethnosuizid, sowie ihre philosophischen Grundlagen, die moderne, subjektivistische, werteblinde, wahrheitsvergessene Weltsicht betrachteten, verblieben jedoch gewissermaßen auf der „Oberfläche“, der Form und der Abstraktion. Heute wollen wir ans „Eingemachte“ gehen, und uns dem Erlebnis und dem Vollzug selbst, der Stimmung von Dekdanz und Nihilismus zuwenden, die auch uns alle, bis in ihre Analyse umfängt. (Dieser Text kann also als Exkurs und Appendix zur erwähnten 3teiligen Serie über „Dekadenz und Nihilismus“ gelesen werden.)
Wir wollen, dem rationalen Verständnis soll auch eine Schneise gelegt werden, nach dieser Einleitung der „Stimmung“ auf den Grund gehen und ihre Wesen ins Visier nehmen. (Dabei kommen wir, wie zu erwarten, nicht an Heidegger vorbei.)
Im Anschluss soll die spezifische Grundstimmung der Modernen Welt beschrieben und mithilfe von Viktor Frankl, ihre epidemisches Auftretenals Depression nachgewiesen werden. Nur mit Heideggers Daseinsanalyse gelingt uns jedoch die Frage darüberhinaus, nach dem seinsgeschichtlichen Grund dieser Grundstimmung, und einer Ausbruchsmöglichkeit.
In dieser Frage liegt eine geheimnisvolle Ahnung, dass wir als „Rechte“ und Identitäre, in unserem Leiden in und an dieser Zeit, gerade da wo es scheinbar „sinnlos“ und „undankbar“ erscheint, da wo es an den „vollen Schüsseln verhungert“, im Zentrum der nihilistischen Grundstimmung, im Fokus der Schwärze und des Nichts stehen. Unsere Frage nach dem eigenen Lebenssinn, unsere eigene Niedergeschlagenheit, wird so, das ist der Vorgriff auf ein Geheimnis, zu einer Grunderfahrung des Seins in seiner Entzogenheit, die Frage nach uns Selbst und die Suche nach unserer eigenen persönlichen Erfüllung, zum Teil unserer geschichtlichen Aufgabe, zur „Deprivolte gegen die Moderne Welt“. Sie fragt mit Heidegger nach dem „Woher“ der Depression als gesellschaftliche Epidemie. Ein Mut zum Abgrund, eine Freude am Leid, ein Sinn im Nichts und eine Erfahrung dieser Depression als „Aufgabe“, sind die seltsamen Früchte die am Ende dieses Textes stehen können, indem die Verstiegeneit der jüngsten Funkenartikel gewissermaßen ihren Zenit erreicht. (Bald folgen wieder „praktischere“ Texte.)
Das Gestimmtsein und die Daseinsanalyse
Wie wir in diesem Essay jedes psychoanalytische Fachvokabular umschiffen werden, so wollen wir auch nach Möglichkeit Heideggers Begrifflichkeit vermeiden. Zwar ist diese von einer spezifischen „Fachsprache“ himmelweit unterschieden, ihre Intention ist gerade nicht die präzisere Feststellung und Abgrenzung zu anderen Bereichen, sondern die Öffnung und das Aufmachen einer Frage. Dennoch bedeutet sie und erfordert sie ein gewisses Vorverständnis auf welches dieser Text gerade nicht aufbauen möchte.
Die Wesenszüge der Stimmung wurden bereits in der Einleitung umrissen. Wir wachen in ihr auf. Wir beeinflussen sie mit materiellen und geistigem Impulsen. Materielle und geistige Einflüsse um uns herum beeinflussen sie ihrerseits. Letztlich ist sie aber unserem Willen entzogen. Wir können nicht gut gelaunt, motiviert, engagiert sein wie wir „wollen“. Wir können es uns vornehmen, es uns wünschen aber ultimativ ist das Strom der Gefühle wie ein Fluß in den wir geworfen sind, indem wir steuern, mitfahren und gegenhalten, aber dessen Verlauf wir nicht beeinflussen können. (Auch die grassierende Ratgeberlektüre die das „positiv Denken“ empfiehlt ändert daran nichts.)
Heidegger ist, da er die Frage nach unserer Existenz von Grund auf neu stellt und nicht mit einem vorgefassten, bewusstseinsphilosophisch geprägten Begriff vom Menschen operiert, der erste der auch die Frage nach der Stimmung wirklich in seine Philosophie einfließen lässt.
Das was in der europäischen Philosophiegeschichte seit Plato verdrängt und abgewertet wird: die leiblich-emotionale Affektion, das Durchdrungen und Erfasst sein, das Erlebnis und das „Fleisch“ erhalten bei Heidegger ihr Eigenrecht zurück (ohne wie zum Teil bei Nietzsches „umgekehrten Platonismus“ die neue höchste Instanz zu werden).
Wo die Bewusstseinsphilosophie, versucht sich möglichst „objektiv“, vom eigenen Leib (und die Stimmung ist immer auch etwas körperliches, ein „Wohl“ oder „Unwohlsein“) abzutrennen und rein „logisch“, „rational“ ihre Urteile und Analysen zu betreiben, lässt sich eine phänomenologische Fundamentalontologie voll auf diese Dimension ein.
Anders als bisher, sieht Heidegger die Emotionen und Stimmungen nicht als „störende Begleitphänomene, welche man tunlichst auszuschalten hätte“, sie haben eine „die Welt und das Selbst erschließende Kraft“. Wahre Selbsterkenntnis ist „ursprünglich eine Angelegenheit der Stimmungen“. Das Erlebnis einer Stimmung kann niemals durch eine Überlegung, eine neutrale Contemplation eine reine Anschauung, die sich selbst ausschaut, ersetzt werden.
„Ein reines Anschauen, und dränge es in die innersten Adern des Seins eines Vorhandenen, vermöchte nie so etwas zu entdecken wie Bedrohliches“ ( SuZ, S. 138)
Was heißt das? Die Stimmung wie z.B. die Angst und die Emotion der Furcht „ist“ nur in ihrem Erlebnis. Nur unmittelbar wenn sie mich erfasst, weiß ich was Angst ist. Wenn ich über die kommende oder die vergangene Angst reflektiere, dann „ist“ es nicht sie, sondern nur eine Abschattung, eine „Gedankenversion“. Sie kann ich relativieren und analysieren. Die Angst und Aufregung selbst ergreift mich im Moment, macht mir Bauchschmerzen, bestimmt mein gesamtes geistiges und körperliches Dasein. Die Furcht, das Bedrohliche„ist“, wie das Erhabene, das Erfreuliche, das Widerwärtige, Festliche, Bedauerliche, nur im Vollzug und im Erleben, nicht im vorgreifenden oder rückgreifenden Bezug, oder gar im Theoretisieren darüber zugänglich. Das Wesen der Stimmung ist, nichts Statisches. Es ist ihr An-Wesen, ihr lebendiges „Eigenleben“, ihr Kommen und Gehen, das nicht unserem Willen folgt.
„In der Befindlichkeit ist das Dasein immer schon vor es selbst gebracht, es hat sich immer schon gefunden, nicht als ein wahrnehmendes Sich-vorfinden, sondern als gestimmtes Sich-befinden“. (SuZ 135)
Die Stimmung die unser Lebensgefühl körperlich und geistig bestimmt, die wie eine „Brille“ und ein Filter, ein und dieselbe Welt so und so erscheinen lässt, unser Augen für die Schönheit im Einfachen öffnet, oder verschließt, macht unser Dasein am Ende „undefinierbar“.
Die Stimmung kann nicht umgrenzt (nichts anderes heißt „definieren“) und auf den Begriff gebracht werden. Jeder der schon einmal versucht hat seine Gefühle auf einer Skala von 1–10 zu kategorisieren und zu vergleichen weiß das. Das zeigt auch: jede abgeschlossene Definition des Daseins, jede Festellung des Menschen, ob sie ihn als materielle Maschine, oder als geistigen Bewusstseinsfunken sieht, ist eine Reduktion, welche die Unbeschreibbarkeit der Stimmung ausblendet. Die „Weltfremdheit“ der klassischen Philosophie rührt auch und vor allem daher, dass sie diese Wirklichkeit, die jeder von uns faktisch, täglich erfährt ausblenden und als „subjektiv“ und „belanglos“ beiseite schieben will.
Die Stimmung ist kein bestimmter „Bestandteil“ meines Dasein, sie kommt nicht zu ihm hinzu. Sie ist immer schon die Strömung, das Wehen indem mein Dasein je und je steht. Das sind keine „innerpsychischen Zustände“ sondern sie be-stimmen unser ganzes In der Welt sein, und lassen die Welt in einem bestimmten Licht erscheinen.
„Welt ist auch und sogar primär ein Stimmungshorizont.“
Das Dasein ist „gestimmt.“
Alfried Längle, Alice Holzhey-Kunz, Existenzanalyse und Daseinsanalyse, Facultas Verlag, 2008, Wien S. 209
Die Stimmung ist auch mehr als eine konkrete Emotion. Stimmungen haben im Unterschied zu den Gefühlen kein konkretes Objekt. Nehmen wir zum Beispiel das Gefühl der Freude auf und über etwas und vergleichen es mit der eigentümlichen Stimmung der Fröhlichkeit. Nehmen wir das Gefühl der konkreten Furcht vor etwas und vergleichen es mit der eigentümlichen (und urdeutschen) Stimmung der Angst. Stellen wir die Erfahrung des konkreten Schmerzes über einen Verlust, dem Abgrund des Weltschmerzes entgegen.
Die Stimmung bildet erst die Grundlage und den Rahmen indem sich die konkreten Gefühle abspielen. Sie ist untrennbar mit unserer Existenz verbunden die gleichsam der „Rahmen“ für alles konkrete Verhalten und tun ist. Sie ist als Befindlichkeit zuletzt „existenzial“, um Heideggers Vokabular grob anzuwenden.
Exkurs: Freuds Fehler
Die Stimmung hat daher auch nichts mit dem „Unterbewusstsein“ zu tun. Die, auf der Philosophie von Martin Heidegger aufbauende, Daseinsanalyse, steht im schärfsten Gegensatz zu Freuds Psychologie. Diese ist eine zutiefst modernistische und metaphysische Fehlbetrachtung des Menschen. Ihr Materialismus ist nur scheinbar. In Freuds eigentlich willkürliche Konstruktion von Es, Ich und Über-Ich, vom menschlichen Selbst, das durch unterbewusste „Triebwünsche“ determiniert wird, zementiert er eigentlich den neuzeitlichen Subjektivismus. Sie war und ist eine der schlagkräftigsten Waffen und Werkzeugte des Indiviudalismus, gegen alle Werte und Traditionen. Sie ist aber mehr als das: sie ist eine verarmte, reduzierte und primitive Verzerrung des Daseins und der Welt.
Die Daseinsanalyse will im Unterschied zur Psychoanalyse auch die „geistigen“ Phänomene in sich selbst und aus sich selbst verstehen, statt sie als getarnte Trieberscheinungen zu deuten, die eigentlich „Einbildungen“ und “nicht real” sind. Freuds Projekt ist in sich ein Teil der aufklärerischen „Entlarvung“, die alle Werte als „Schein“ und „Tarnung“ für materielle Wünsche und damit für nichtig erklärt. Die klassisch metaphysische Struktur, das gesamte Seiende aus einem bestimmten, abstrakten Einzelaspekt zu erklären, die Annahme einer „wahren metaphysischen“ Wirklichkeit hinter allen Phänomenen, die als Universalerklärung dient, haftet auch Freuds scheinbarer „Aufklärung“ an. Für ihn gibt es außer den Trieben keinerlei „geistige“ Grundkräfte, wie seine Theorie der Sublimination zeigt. Seine Trieblehre beruht „auf einer naturwissenschaftlichen Modellvorstellung des Menschen“.
Gion Conreau, Daseinsanalyse: philosophische und anthropologische Grundlagen; die Bedeutung der Sprache; Psychotherapieforschung aus daseinsanalytischer Sicht, 2. überarbeitete Auflage, Verlag J. H. Röll, Dettelbach, S. 1998, S. 173
Die Triebe sind in Freuds kausalgenetischer Entwicklungstheorie – der „Ödipuskomplex“ ist mittlerweile Teil des Alltagssprache – der Ursprung aller Gefühle. (Hier tritt auch ein starker milieutheorethischer Zug Freuds auf.) Mitmenschliches Verhalten wird großteils aus „Übertragungen“ kindlicher Triebprägungen erklärt. Träume sind uneingestandene Triebwünsche, „freudsche Versprecher“ entlarven im Lapsus den wahren An“trieb“.
Diese Pychologie sieht als Wesenskern und Substanz des Menschen letztlich einen panerotischen, würgenden, zitternden, gierigen, feuchten Fleischklumpen. Ein fleischgewordenes Lustprinzinp, einen gequälbaren Körper. Eine einzige erogene Zone und Nervenbündel, das sich alles in alle möglichen Schlünde einführen, verdauen, kauen, bespeicheln will, dass zeitgleich alles in sich aufnehmen und alles penetrieren, alles dominieren und sich in allem auflösen will. Dieses „Es“, ist die primitiv, materielle Fassung des reinen “Willen zum Willen”, das ewige Wachstum, die unendliche Expansion, Mobilmachung und Bündelung.
Es ist die „binge-Existenz“. Es will, ewig aufbleiben, sich unendlich betrinken sich bis zum Platzen vollfressen, es will sich mit allen dumpfen Räuschen betäuben und spitzen Extasen erregen. Es will in einer einzigen logischen Sekunde die Ganze Welt, die Summe alles Seienden begatten und überwältigen und zugleich von ihr vergewaltigt und vertilgt werden. Dieses sadomasochtische Gefühl, dieses ekstatische Verlangen, das manchmal als orgiastisches Zittern über die „Randbereiche“ unserer Existenz streift, wird von Freud zu seiner Substanz und seinem Zentrum erklärt. Es macht eine Vergegenständlichung, gewisser Spannungsbereiche, „rund um“ das Dasein zum Wesebskern seines Trieb-Subjekts. Freud schreibt über das Ich es wähne sich als „Herr im Haus“, während es „auf kärgliche Nachrichten angewiesen bleibt vom dem, was unbewusst in seinem Seelenleben vorgeht“.
S. Freud, Vorlesungen zu Einführung in die Psychoanalyse, Ges. Werke, Bd. XI, S. 295
Das „Ich“ ist bei Freud nur die „Rindenschicht des Es“. Freud projeziert dieses an den Haaren herbeigezogene Ungetüm als „wahres“ Wesen in den Menschen hinein und will fortan all Gedanken und Gefühls-„Erscheinungen“ als Schein „entlarven“. Alles, alle Werte und Intentionen, alle Religionen, jede Ethik und Moral, sind wesenlose, Lügen-Masken, die sich dieser einzig reale Lustklumpens überzieht. Dieser ganze Wahnsinn lebt und wirkt im Begriff des „Unterbewussten“ und seinem Milchmädchen-Psychologismus.
Die Daseinsanalyse, von ihrer Beschreibung des Daseins, bishin zu ihrer Traumdeutung, ist die Absage an diese Haltung des „Entlarvens“ das aus einer Verabsolutierung resultiert. Dabei wird das Phänomen, dass Freud damit benannte nicht geleugnet, allerdings sehr wohl seine „metapsychologische Konzeptualisierung, dieser Annahme als einem Teilbereich des psychischen Apparats“. Die Daseinsanalyse lässt eine „derartige Verdinglichung des Seelenlebens zu einem vorhandenen Innenraum mit verschiedenen Bereichen“ nicht zu.
oa Holzhey S. 259f
Die scheinbare Kritik des rationalen Subjekts bei Freud entpuppt sich letztlich als Beibehaltung des cartesianischen Subjektivismus, nur dass dieses von Herrscher zum Sklaven im „Triebgefängnis“ des Körpers wird. Das Unterbewusstsein ist die „Kette“ mit dem das Bewusstsein darin festgemacht ist und seinen Bewegungen folgt. Das Phänomen, das es unbewusste, unthematisierte Triebwünsche gibt, kann nicht zur Auslegungsmaske des gesamten Dasseins werden. Das „animal rationale“ der modernen Philosophie bleibt als Interpretation des Daseins bestehen. Sein Schwerpunkt verlagert sich nur von der rationalitas in die animalitas. Eine echte phänomenologische Neuerfahrung des Daseins, seiner Transzendenz und seiner Stimmungen findet nicht statt. Der Trieb und seine vermeintliche „Befreiung“, von Freud über Reich, bis zur sexuellen Revolution und dem peinlich-propagierten Hedonismus der antideutschen Linken ist eigentlich eine metaphysische Verklemmtheit.
Die Daseinsanalyse sieht in dem „was die Psychologen triebhaftes Verhalten nennen“ ein „unfreies an etwas Übermächtiges verfallenes und diesem ausgeliefertes existiert“. Es ist ein Zug, es ist nicht unsere freie Entscheidung, dass diese Phänomene existieren. Wir können aber meist entscheiden inwiefern wir sie leitend werden lassen und zum zentralen Motiv erheben.Oft entscheidet sich aber das Dasein zu seiner Verfallenheit. Mit Freud wird diese Verfallenheit aber zum unausweichlichen Grundmodus.
Gion Conreau, Daseinsanalyse: philosophische und anthropologische Grundlagen; die Bedeutung der Sprache; Psychotherapieforschung aus daseinsanalytischer Sicht, 2. überarbeitete Auflage, Verlag J. H. Röll, Dettelbach, S. 1998, S. 174f
Das Dasein und seine Gestimmtheit ist ein Vollzug, das sich nicht definieren und bestimmen lässt. Schon gar nicht lässt es sich kausal und mechanistisch erklären, wie das Freud in seiner biologischen Trieblehre versucht. Nur eine grausame Schematisierung des Daseins und seiner Stimmungen lässt diese als „Oberfläche“ von alles bestimmenden Trieben erscheinen. Freud wollte eine lückenlose, kausale Erklärung für die menschlichen psychischen Phänomene finden und erfand dazu das „Unterbewusste“. Die vielen menschlichen Verhaltensweisen, die sich nicht aus Triebhaftigkeit und Hedonismus erklären lassen, führten schließlich auch zu Freuds Kapitulation, die der geheimnisvolle „Todestrieb“, der am Ende seines Werkes auftaucht, markiert. Das was wir mit Stimmung meinen ist kein „Unterbewusstes“ das „neben“ dem rationalen „Ich“ existiert und aus „verdrängten Triebwünschen“ besteht. Es gibt das Phänomen des Triebes und es gibt unthematisierte Triebwünsche. Keinesfalls bestimmen und determinieren sie jedoch das Dasein. Die Stimmung geht viel tiefer und beeinflusst zuletzt auch die Art und Weise wie Reize und Triebe auftreten und wirken. (Jeder der bei sich oder anderen erlebt hat wie sie, oft urplötzlich, zu bestimmen Triebvollzügen „nicht mehr in Stimmung“ waren, kann das bezeugen.)
Wir wollen den Exkurs hier abbrechen und festhalten, dass Freud das Dasein metaphysisch einfriert, verräumlicht und vereinfacht, um letztlich Stimmungen und Gefühle behandelbar und beherrschbar zu machen. Er erfindet Akteure (Es, Ich, Über Ich) und Bereiche, mit denen man alle Phänomene „erklären“ kann. Sein Modell des Menschen bestätigt letztlich nur das moderne Weltbild von Dekadenz und Nihilismus. Es ist aber in keiner Weise „beweisbar“ und „wahr“, ja nicht einmal „wisseschaftlich“, wie einige jüngere Studien nachgewiesen haben.
Die in der westlichen Welt seit einigen Jahrhunderten immer stärker und intensiver auftretenden Verstimmungen, Verzweiflungen, Depressionen und Störungen, werden von Freud nicht einmal ansatzweise erkannt und mit seiner „Therapie“ zum Teil verschlimmert.
Die Folgen von Dekadenz und Nihilismius, werden von Freud mit dem nihilistischen Vokabular und Denken des Materialismus und Hedonismus analysiert und behandelt. Der wahre Grund des „Unbehangens in der Kultur“, der Verlust aller Sinnstiftenden Instanzen und die geistesgeschichtliche Lage Europas, entzieht sich Freuds plumpen Zugriff total, der so zum Griff in den Abort spätwestlicher Dekadenz wird.Karl Kraus geniales Zitat über die Psychologie trifft auf Freud wesentlich zu: “Psychoanalyse ist jene Geisteskrankheit, für deren Therapie sie sich hält. ” Seine „Entdeckung“ des Unterbewussten ist eine bloße Erfindung, die leider sehr tief und intensiv auf das moderne Weltbild eingwirkt hat. In diesem Text wird daher das freudsche Vokabular tunlichst vermieden.
Der common ground des Elends
Weiter als Freud geht der große Denker und Menschenfreund Viktor Frankl. Als Holocaust-Überlebender und Psychologe steht er heute für ein emphatisches Ja zum Leben. Die von ihm geprägte Logotherapie und die Existenzanalyse, auf die wir hier nicht im Näheren eingehen können, stehen insofern im Gegensatz zu Freud. Sie geht nicht von einer kausalgenetischen Entwicklungstheorie aus und reduziert alles auf Triebe. Frankl sieht als sie eigentlichen Grund der gehäuft, auftretenden Gefühlsstörungen und seelischen Krankheitsphänomene sieht, auf welche die moderne Psychologie reagiert, das Fehlen von Sinn. Viktor Frakl geht tiefer und erkennt, dass nicht allein Triebwünsche und Lusterfüllung den Menschen determinieren. Dass diese und der Schmerz ihrer Versagung ins Zentrum des Daseins rücken ist, im Gegenteil, wie auch Ernst Jünger in seinem genialen Essay über den Schmerz erkennt, Anzeichen eine Verschiebung der „Kommandhöhe“, bzw des Sinns des Daseins, von Werten und Idealen auf den eigenen Leib. Diese Verschiebung kommt einem Sturz und einem Fall gleich: das „Wie“ wird immer unterträglicher weil das „Wozu“ fehlt. „Was der Mensch wirklich will“, so Frankl „ist letzten Endes nicht das Glücklichsein, sondern ein Grund zum Glücklichsein.“ Der Verlust des „Wozu“, des Sinns, kann sogar, wie Frankl erkennt durch eine Überfülle der materiellen Möglichkeiten nicht ausgeglichen werden. Es ist die berühmte „innere Leere“, in die sich die Insassen des Westens alle möglichen alten und neuen Sinnangebote hineinstopfen. Frankl schreibt:
„For too long we have been dreaming a dream from which we are now waking up: the dream that if we just improve the socioeconomic situation of people, everything will be okay, people will become happy. The truth is that as the struggle for survival has subsided, the question has emerged: survival for what? Ever more people today have the means to live, but no meaning to live for.“
Frankl, UCM, S. 21
Großartig ist im diesem Zitat die misere des Westens auf den Punkt gebracht. Dem Menschen geht es nicht primär um Trieberfüllung.
„Das Wesen der menschlichen Existenz liegt in deren Selbst-Transzendenz. Unter der Selbst-Transzendenz menschlicher Existenz verstehe ich den grundlegenden anthropologischen Tatbestand, daß Menschsein immer über sich selbst hinaus auf etwas verweist, das nicht wieder es selbst ist, – auf etwas oder auf jemanden: auf einen Sinn, den da ein Mensch erfüllt, oder auf mit-menschliches Sein, dem er da begegnet.“
Frankls Schlussfolgerungen wirken unmittelbar überzeugend. Wir wollen sie zur tieferen Durchdringung noch einmal nachvollziehen. Sinn, als eine umfassende Instanz die unserem Dasein als Ganzes, über konkrete einzelne Bezüge und Ziele hinaus, eine Bedeutung gibt, ist ein Bedürfnis, das aus der Selbstbewusstwerdung und Erschlossenheit des Menschen seiner selbst erwächst: der „Transzendenz“. Da wir unser Dasein als Ganzes wahrnehmen und eine Biographie haben, fragen wir uns unweigerlich nach dem Sinn des Ganzen, dem Sinn und Ziel unseres Lebens. Die Endlichkeit unseres Daseins, sein Sein zum Tode, das in jedem Verlust, und Abschluss, ja bereits jedem Sonnenuntergang durchschimmert, drängt sich uns diese Frage unerbitterlich auf. Sie wirkt sich gleichzeitig als umfassender Rahmen und Maxime in allen konkreten Entscheidungen aus, vor die wir laufend gestellt sind. Zwischen verschiedenen Möglichkeiten, die uns die Reflexion unwillkürlich aufmacht, entscheiden wir willentlich anhand von Präferenzen und Prinzipien, die ihrerseits wiederum durch „Überprinzipien“ abgewogen werden. Der Sinn des eigenen Daseins, die Aufgabe der man sich widmet, wirkt in den Entscheidungen bewusst oder unbewusst mit. Fehlt dieser umfassende Sinn bedeutet das nicht sofort den Zusammenbruch. Es ist es möglich sich in die „niederschwelligen“ alltäglichen, materiellen Herausforderungen zu werfen, die unreflektierten Überzeugungen und täglichen Herausforderungen das Dasein bestimmen zu lassen und die Transzendenz „abzublocken“. Jedoch im Scheitern, bei Niederlagen, im Zuge von Verletzunge und Krankheiten, wenn der Vollzug und Betrieb des Lebens aussetzt, bricht die unterdrückte Sinnfrage mit voller Gewalt herein. Burn-Out, Midlife Crisis, Depression- wir haben viele Namen dafür. In ihnen wirkt sich, so kann man Frankl interpretieren, jedoch bereits eine gewisse vorgängige Ausgangslage aus, die uns anfälliger macht. Der fehlende Sinn erzeugt im gesamten Westen eine gedämpfte Grundstimmung, eine Niedergedrücktheit, eine „epidemische“ Depression.
Wir sind eine depressive Gesellschaft. Kaum einer hat keinen Bekannten der schon einmal Antidepressiva genommen hat. Die Krankheit einer Gesellschaft erkennt man stets an der Anzahl ihrer Ärzte: Therapiepraxen, Lebensberater, Gurus und sonstige Hilfestellungen für die zerütteten Psychen schießen wie Pilze aus dem Boden. Die gesamte Ablenkungs- und Zerstreungsmaschinerie soll uns letztlich über den epochalen Sinnverlust unseres Daseins ablenken. Am Grund aller Subkulturen, im hintersten Winkel jeder Szenekneipe, in den letzten Minuten vor der Sperrstunde, in den wenigen Sätzen in denen die Masken fallen, sieht man jedoch das wahre Stimmungs-Antliz unserer Gesellschaft: gelangweilte Verzweiflung und verzweifelte Langweile.
Unsere sinnlose Welt ist farblos, entzaubert und sterbenslangweilig. Es fehlt das Gefühl der Bedeutung und Begeisterung, das früher Generationen, Völker und Staaten trug. Die „Selbstmotivation“, die Autosuggestion und selbstinduzierte Emphase, das „Reinsteigern“, der „trip“, das „Reinflashen“, das sich selbst verlieren , die Immersion in irgendeiner Fantasiewelt oder Ekstase, wird mit dem Preis der bitteren Ernüchterung beim Aufwachen bezahlt. Die Sucht nach der Flucht wird immer stärker. Der Wahn sich ständig zu beschäftigen, die ständige musikalische Beschallung, der reflexartige Griff nach dem Smartphone sobald es „nichts zu tun gibt“, das Hochfahren des PCs als erste Handlung nach dem Aufwachen – all das sind Fluchtformen der Langeweile. Wir ertragen es nicht mit uns Selbst alleine zu sein. Wir ertragen die stille, ungefilterte Sicht auf unser langweiliges Zeitalter immer schlechter.
Die Ablenkungs-Dosis muss immer höher, die Fanatsiewelten, in denen es Gut und Böse, Aufgaben und „Quests“ gibt, müssen immer glaubwürdiger, „realistischer“ und raffinierter werden. Würde man die westliche Welt nur eine Woche von Kaffe, Alkohol, Kopfwehtabletten, Antidepressiva, jeglichen Drogen, Parties, Wlan, Fernsehehn, etc. „absetzen“ wären die Folgen unabsehbar. Die Zombiefilme Romeros würden wohl Wirklichkeit werden.
Das panische Wegrennen vor der Langeweile und Sinnlosigkeit ist, wie wir später sehen werden, auch eine Flucht vor der Depression und dem Tod, deren Vorboten und geheimer Thyrsusschwinger die Fadesse stets ist. Die Fluchtbewegung aus der Sinnkrise in die Dekadenz führt zu der bekannten pathologischen „Triade“ die Frankl folgendermaße beschreibt:
„What threatens contemporary man is the alleged meaningfulness of his life, or, as I call it, the existential vacuum within him. And when does this vacuum open up, when does this so often latent vacuum become manifest? In the state of boredom.“
Frankl, PAE, S.122
Ein Interpret schreibt weiter:
„Boredomis the main symptom of this illness. To see if society is sick one has just to observe how deeply boredom – in its many forms and manifestations – overflows peoples lives. Sometimes it becomes unbearable, and then its companions: addiction, depression and aggression, become the threat not only to the individual but also to society as a whole.“
Jeder von uns hat wohl schon einmal den Höllenritt auf diesem stadardisierte westlichen Gefühlskreisel, der den Strudel auf der gelangweilten Grundstimmung des neuzeitlichen Subjeks darstellt, mitgemacht. Das Verfallen in ein Suchtverhalten, die vielen kleinen materiellen Impulse und Kicks mit denen wir Sinnlosigkeit und Langweile immer wieder verscheuchen. Wir machen uns so zu Sklaven von Verhaltensweisen, schaffen uns, mit freundlicher Unterstützung der Werbeindustrie, immer wieder neue Bedürfnisse und genießen ihre kurzfristige Befriedigung. Eine Sucht gibt der anderen die Klinke in die Hand. Irgendwann umstellen sie uns und drücken uns zu Boden. Auf die Ekstase folgt der Zusammenbruch, der Entzug, der Alltag der noch ein Stück grauer geworden ist.
Wie einen Ball hielten wir die wie die Grundstimmung des Westens mit unseren „kicks“ immer in der Luft. Irgendwann fällt er auf den Boden, irgedwann fallen wir auf den Grund zurück.
Die Apathie überkommt uns. Die tiefe Lustlosigkeit, die Kraftlosigkeit, der Überdruss an allem. Das Aufstehen und Zähneputzen erscheint mühsam wie das Besteigen des Mount Everest. Eine Stunde frisst sich sinnlos in die nächste. Sinnlos „vertreiben“ wir die Zeit. Tage, Wochen Montate können so verstreichen und in eine einzige leere Endlosigkeit verschmelzen, die uns wie eine Sekunde erscheint — wenn sie erst vorbei ist. Rastlose treten wir auf der Stelle. im Inneren rast es, nach Außen hängen wir in den Seilen. Wie der Panther in Rilkes Gedicht kreisen wir immer manischer um unsere Mitte, unseren betäubten Willen. Eine Verzweiflung wächst im Zentrum, ein Ekel vor uns selbst. Irgendwann kommt die Eruption. Die Agression bricht sich wütende ihre Bahn. Die aufgestaute Energie, die wir nicht auf konkrete Ziele richten konnten, weil alles sinnlos erschien, verpufft. Meist in einer einzigen aggressiven Entladung, die oft die trifft die uns eigentlich helfen wollen. Das Tier reißt an seinen innerne Ketten. Tobsuchtsanfälle, in die Ecke getretene Möbel, Schläge in die Wand, manische Phasen.
Wenn wir danach nicht in die Apathie zurückkippen, wenn uns irgend ein glücklicher Gefühls-Aufwind hochhebt, finden wir irgendwann wieder in die „Schienen“ zurück, geraten auf die Bahn, „managen“ unsere Stimmungen, und der Kreisel beginnt erneut. Diese Trias ist der Teufelskreis der Gefühle, der Strudel sich notwendig auf im Gravitationszug der westlichen Grundstimmung der Langeweile vollzieht. Das was ihn brechen und uns über ihn hinausheben kann, ein wahrer Lebenssinn, ist der verbotene Baum, im Garten Eden der modernen Welt.
Wir müssen verstehen, dass unsere gesamte Gesellschaft in ihrem Konsumverhalten, in ihrer Arbeitsorganisation, in ihrem Sozialverhalten, in ihrem Rechtssystem und ihrer Moral von diesem Kreisel geprägt ist. Das ein einziges tiefes Gähnen, ein zynischer Lebensüberdruss der Stoff ist aus dem der „american dream“ gemacht ist. Jeder lebt im Rahmen dieser Stimmung, und ist im neuzeitlichen Subjektivismus, in seinem metaphysischen Menschen- Welt und Wahrheitsbild gefangen.
Wir können uns nicht „dagegen“ Entscheiden. Wir sind alle Teil diese „Blooms“. Der Eskapismus verstrickt uns mit dem Schein der Flucht nur noch tiefer in seinen Fangarmen.
„Der Bloom erringt die einfachsten Siege bei jenen, die sich ihm zu entziehen trachten.“ Tiqqun, Theorie vom Bloom, S. 57
Wir sind alle süchtig und zivilisationskrank, weil wir in einer kranken und sinnentleerten Gesellschaft leben, die sich mittlerweile „globalisiert“ hat und ein weltweites Phänomen geworden ist.
Der einzige Unterschied ist, dass manche „besser eingestellt“ sind, dass sie die depressiv-apathischen Phasen „übertauchen“, dass sie einen perfekten, sozial und körperlich verträglichen Rhythmus ihrer materiellen Lust-Kicks gefunden haben, und ein Objekt haben an dem sie ihre Agressionsanfälle ausleben können. Sie sind wie „functioal alcoholics“. Meist haben sie auch, wie wir später sehen werden, ein stumpfers Sensorium für Sinnfragen. Sie sind an sich „stabile“, unkomplizierte, unterkomplexe Menschen, mit einer natürlichen Rohkraft und wenig geistiger Tiefe. Diese Menschen des geistigen Mittelmaßes, arbeitsfähig, unberührbar, mit abgestumpften oder abgeschnittenen Antennen für Sinnfragen, sind die Kinder der modernen Welt. Sie sind die Menschen der Zukunft, die sich Generation für Generation stärker „herausmengeln“ und durchsetzen.
Die Empfindlichen, Sensiblen, die Sinnsucher und Idealisten landen in der modernen Welt meist im Extrem, im Wahnsinn und in der Droge – oder „freiwillig im Irrenhaus“(Nietzsche). Es sind schlechte Zeiten für Idealisten. Diese Erkenntnis begründet eine gewisse „Sympathie für den Gescheiterten“, wie sie auch Heimito von Doderer bekundete:
„Ich halte jeden Menschen für voll berechtigt, auf die – von den Ingenieursgesichtern und Betriebswissenschaftlern herbeigeführte – derzeitige Beschaffung der Welt mit schwerstem Alkoholismus zu reagieren, soweit er sich nur etwas zum Saufen beschaffen kann. Sich und andere auf solche Weise zu zerstören ist eine begreifliche und durchaus entschuldbare Reaktion. Wer nicht säuft, setzt heutzutage schon eine beachtliche und freiwillige Mehr-Leistung.“
Das Autorenkolletiv Tiqqun sieht gar in der Zerstörung des eigenen Körpers, die wir in den Extremismen von Boderliner und Magersucht, bis Bodybuilding-Wahn, etc. beobachten können, eine geheime Rache, eine Form der Sabotage. Man „tötet seinen Körper ab, um sich an der Biomacht und für die symbolischen Vergewaltigungen durch das Spektakel zu rächen.“ Tiqqun, Theorie vom Jungenmädchen S.128
Doch was können wir, wenn wir wieder einen Schritt zurücktreten politisch aus diesen Überlegungen ziehen? Nichts weniger als den Schlüssel zum Verständnis und zum Erreichen unser „Mitbürger“, die wahre, unerkannte und unbesetzte Querfront: der common ground des Elends. Alle, auch die Grün-Politiker, die CDU-Apparatschiks, die EU-Bonzen, die Antifa-Schlägertrupps, die refugees-welcome Wahnsinnigen und sogar das Gros der Wirtschaftsflüchtlinge selbst, die in den „goldene Westen“ strömen sind, je „integrierter“ sie sind, von der materialistisch-nihilistischen Grundstimmung angesteckt.
Wir sind die Volksgemeinschaft der Langeweile und Depression. Sie alle suchen im Grund einen Sinnersatz für ihr Leben. Sie suchen eine motivierende Begeisterung in einer Fantasiewelt, einem Kick, einer Ekstase, einer Droge, einer Esoterik, oder einer politischen Ideologie. (In Deutschland spielt der Universalismus der Schuld eine Sonderrolle der artifiziellen Sinnstiftung die hier nicht behandelt wird. Schuld ist im Grunde aber die letzte, leigitme Sinnstifungsinstanz des westlichen Zeitgeist. Alles was irgendwie mit „Idealismus“ zu tun hat, von Öko- über Friedesbewegten bis hin zu den „Kämpfern gegen Rechts“ hat daher notwendig etwas mit „historischer Verantwortung“ und eben Schuld zu tun.) Die wenigen „nicht-transzendenten“ Sinnangebote, die in sich auch eine gewisse, althergebrachte Resistenz gegen das Zeitalter des Nihilismus haben: traditionelle Familie, Heimat und Volk, gelten als moralische Unmöglichkeiten als Zumutungen für die subjektiven Freiheits“rechte“, des wurzellosen Arbeitsnomaden. Sie gelten als moralisch verpöhnt und werden juristisch und wirtschaftlich sabotiert wo es nur geht.
Es muss vielleicht gar keinen gemeinsamer ideologischen Boden für eine Debatte gefunden werden. Wir alle grundeln bereits am Beckenboden der westlichen Jauchgrube herum.die gemeinsame, Wir suhlen uns in derselben zynischen „Abgefucktheit“, die wir abends – oft in denselben Bars – mit denselben Stoffen betäuben. Ein allgemeiner Ekel über uns Selbst, über den untragbaren Zustand unserer Gesellschaft drückt sich in allen politischen und subkulturellen Fluchtbewegungen aus. Schlägt es sich bei „linken“ in einer Kritik am erstickenden Überfluss und seiner Verteilung nieder, konzentrieren sich die Rechten vor allem auf den kulturellen Niedergang und die Dekadenz. Der Kampf „gegen das System“ oder „gegen Deutschland“ ist letztlich ein einziger gemeinsamer Ausdruck der Unerträglichkeit des westlichen Status Quo.
Exkurs: Horror Vacui und die politischen Theorien
Genau hier, genau am tiefsten common ground des Elends, formiert sich eine seltsame Querfront, die sich gegen den eigentlichen Hauptfeind richtet: das Gefängnis der neuzeitlichen Subjektivität, des Individualismus und Universalismus, die das „Herz der Hydra“ bilden. Ihre Köpfe, die modernen poloitischen Ideologien haben sich als Scheinlösungen, als Auswüchse des Problems erwiesen. Von Nationalismus bis Kommunismus, sind sie alle vom modernistisch-subjektivistischen Weltbild und seiner inhärenten Sinnlosigkeit und Verzweiflung geprägt.
Ihr Kampf ist ein Binnenkrieg- sie hängen am selben Rumpf. Die 3 politischen Ideologien leben letztlich nur von diesem Kampf, von dieser Mobilisierung, die ihnen kurzfristig Sinn stiftet. Sorel hat das im Bezug auf den Marxismus und seinem mobilisierenden Mythos klar erkannt. Was die Marxisten eigentlich wollen ist keine „befreite Gesellschaft“, sondern die Sinnstiftung hier und jetzt, im „Kampf“ um die befreite Gesellschaft.
Der horror Vacui, der die Akteure der Oktoberrevolution, nach dem Tag des Sieges befiel, führte zu einer schweren „postrevolutionären Depression“, die Getöse des „Arbeitskampfs“ und im Kampf gegen „innere Saboteuer“ unterdrückt werden musste, bis sie der 2. Weltkrieg „erlöste“ . (Die zitierten Autorn von Tiqqun sehen die zentrale Schwäche des Marxismus „in der Unfähigkeit, den Lebensformen Rechnung zu tragen“ in denen „unterschiedlichen Gefühlswelten Gestalt annehmen.“ Das sei gleichzeitig die Stärke des „Reaktionären“ Denkens.)
Auch das Kollektiv um den Funken, großgeworden in der 3PT kannte diesen horror vacui. Die Frage was „nach“ dem großen Sieg, der Sicherung unserer Existenz, und politischen Macht, einer wirtschaftlichen Autarkie, dem Bruch der Herrschaft der Hochfinanuz, etc. pp. erfolgen sollte, war für den messiansichen Eifer bedrückender als der Gedanke einer „heroischen Niederlage“.
Die Sinnstiftung der 3PTs bricht niemals aus dem modernistisch-subjektivistischen Weltbild und seinem materialistischen Warheitsverständnis aus. Ihre Sinnstiftung ist Selbstzweck und enfaltet ihre Wirkung allein im Kampf um das „große Visionäre Ziel“. Sie verlangen allesamt die totale Wahrheit, die totale Erfüllung, die totale Präsenz des Seins, die sie ob als „Korrektiv“, oder Idealzustand niemals aufgegeben haben. Dieses Ende jedes Werdens, diese Tilgung aller Zeitlichkeit, Differenz und „Ungerechtigkeit“, ist gleichzeitig die Zerstörung jeder Aufgabe, jeden Sinns. Ihr ultimativer Sinn ist die totale Sinnlosigkeit. Der Feind auf der Ebene der „Stimmung“ und Sinnstiftung ist dabei paradoxerweise, der Sieg über den Feind, der Verlust der „Reaktion“, das Wegfallen der Hindernisse. Eine kühne These, doch der Zerfall des westlich liberalen Welt nach ihrem Sieg über Kommunismus und NS/Faschismus legt sie nahe. Der moderne Liberalismus, als reinster und klarester Ausdruck des Nihilismus tritt, nachdem seine Gegner besiegt sind, in seine postherorische, postmoder Zerfallsphase sein, die Dugin scharfsinnig beschrieben hat. Ihm fehlen die Reibeblöcke und Gegner, die zwischen ihm und seinem „Ende der Geschichte“, der „One World“ liegen. Die USA ist nach wie vor erfinderisch darin Ersatzfeindbilder zu finden oder zu erfinden. Doch auch sie ist längst nicht mehr die „city on the hill“. Ihre „manifest destiny“, hat die besten Tage hinter sich. Die Diskrepanz zwischen dem prophezeiten „Ende der Geschichte“ und dem Status Quo, tritt offen zutage. Das „Heil“ und die freie Welt ist nicht eingetreten. Das Leid ist nicht verschwunden. Verschwunden ist nur der Sinn der es ertragbar machte.
Der Liberalismus dessen Menschenbild das des Nihilismus ist, ist gleichzeitg der Meister der Sedierung, der Schmerzmittel und der Zerstreuung um diesen erträglich zu machen. Mit seinen glänzenden globalen Werbefeldzügen, die sich viral und schwarmartig verbreiten hat er die gesamte Welt „verwestlicht“. In einem brutalen (und teils willig aufgenommenen) Prozess der geistigen Vergewaltigung, wurden die westlichen Medien in alle Winkel des Globus verbreitet. (Wenige Länder wie zB Buthan versuchten hier offenbar eine zeitlang zu widerstehen und traditionelle Alternativen zum westlichen Glücksversprechen und Menschebild aufrecht zu erhalten.) Am Ende erfasste die moderne Welt alle und sie „erkannten dass sie nackt waren“. Auf einem Schlag war ihnen ihre Leben nicht mehr gut genug, verblassten ihre Traditionen und Mythen vor einem geballten Aufklärungsschub, verfiel ihre Gelassenheit in eine Getriebenheit. Dieser Schub hat überall sein nihilistisch-hedonistisches Welt und- Menschenbild und damit die Grundstimmung der Langweile und Depression eingepflanzt, ohne jedoch alle Menschen die Mittel zur Sedierung zu geben. Die massenhaften, hedonistischen „Pilgerzüge“ der verwestlichten Habenichtse ins überfettet Herz des „Empires“, sind die logische Konsequenz. Die „refugees“ leiden mehrheitlich nicht an Hunger oder an Krieg, sondern am modernen Nihilismus, an der modernen Sinnkrise und Depression, der inneren Leere, die auch sie mit der Spaß und Warengesellschaft sedieren wollen. Wie Demographen längst nachgewiesen haben ist es nicht der „materielle“ Hunger, der zur Massenaus/einwanderung führt, sondern der Hunger nach „Status“ nach dem Ideal den man in westlichen Musikvideos und Kinofilmen vorgegaukelt bekommt.
Liberale, Linke, Rechte, Refugees- sie alle, wir alle hängen im common ground des Elends fest. Wir sind die Querfront des modernen Nihilismus fest. (Die Rolle des Islams, indem Ernst Nolte einen letzen Gegner dieser modernen Front sieht kann hier nicht eigens bearbeitet werden. Seine universalistische-mosaische Wurzel und ihre moderne dschihadistische Renaissance entlarven ihn aber auch als Scheingegner. Letztlich bedeuten ISIS und Co in den tribalen Stammesgesellschaften einen „Modernisierungs- und Internationalisierungsschub“, wie ihn der NS für Deutschland darstellte) Wogegen steht diese Front? Die Analyse der Grundstimmung, und ihres Gefühlskarussells hilft uns nicht nur unsere eigene Verhaftung darin zu verstehen. Sie gibt uns, wenn wir ihre Wirkung auf die Ideologien betrachten, auch einen Blick auf die große gemeinsame Sehnsucht, die geschichtliche Aufgabe, den letzten Ausweg einer „Revolte gegen die moderne Welt“.
Diese Aufgabe bedeutet auf politischer Ebene klar eine konservativ-patriotische Haltung, einen Kampf für die verbliebenen Traditionen und die letzten stabilen Grenzen. Auf philosophisch-geistiger Eben führt sie uns zu in der Auseinandersetzung mit dem Nihilismus und Dekadenz in die Sinnfrage. Hier ist es eine Frage und Suche nach der „Wahrheit“ ohne der Traditionen, Ganzheiten, Gemeinschaften und Grenzen, Mythen und Stile weder wachsen noch bestehen können. Es ist keine ungefragte Defensive des Konkreten, sondern ein Aufbruch ins Ungewisse, eine Frage nach dem Grund.Dieser Text bewegt sich in dieser Problemstellung, im Kampf gegen die politischen und in der Auseinandersetzung mit den philosophischen Implikationen der Moderne. Er verschiebt allerdings den Winkel, blickt „von unten“, auf die Grundstimmung.
Unser Kampf einer „Revolte gegen die moderne Welt“ ist zuallerst und am Ende vor allem ein Kampf gegen die Grundstimmung der Modernen Welt, die uns, unser Volk, und heute alle Völker umfängt. Sie bestimmt, vor allen philosophischen Analysen von Subjekt, Wahrheit und Metaphysik, unsere Gefühle und unser Verhalten zur Welt.
In der modernen Grundstimmung der Langeweile und Depression, ersticken alle Ideale, alles Konkrete, Bedeutungsvolle und selbstverständlich auch das Volksbewusstsein. Wir können daher, wenn wir uns an die Masse richten, an diese Werte kaum mehr appellieren weil sie einfach nicht mehr vorhanden sind. Der rechte Populismus ist damit, wie in diesem Artikel xx beschrieben, oft eine Art partikulärer Universalismus, der die westlich-modernen Ideen verwirklichen, aber auf einen bestimmten nationalen Rahmen beschränken will. Er will Gleichheit, Freiheit und Konsum – aber nur in einem bestimmten Rahmen (gegen den seine logischen „Kinder“, als personifziertes schlechte Gewissen, mit marxistischen Forderungen rebellieren.)
Er will mit der modernen Grundstimmung nicht brechen, sondern sie erhalten und verewigen. Er will sie gegen ihre eigenen Folgen (Dekadenz, Demographiekollaps, Masseneinwanderung, Islamisierung) verteidigen. Es ist als würden man einen bösartigen Tumor gegen die Symptome des Krebs verteidigen.
Das gesamte Geflecht der modernen Ideologien verstrickt sich in seinen fanatischen Krämpfen nur immer Tiefer in diesem Nihilismus.
Die geheimen Sehnsüchte die vom modernen-subjektivistischen Weltbild nicht befriedigt werden, die nach einer Überwindung der Grundstimmung vonDepression und Langeweile verlangen, werden nicht angesprochn. In ihnen liegt das Versprechen nicht nur unser Volk zu seiner Selbstverteidigung aufzuwecken, sondern letztlich alle die im modernen common ground des Elends gefangen sind, aus ihren sinnlosen Zerfalls- und Wanderungsbewegungen, wieder in ihren sinnhafte Eigenbereich zu fügen.
Die Daseinsanalyse
Der zentrale Erkenntnisgewinn von Freud zu Frankl bedeutet ein tieferes Verständnis der „conditio humana“, die jeder von uns im Innersten nachvollziehen kann. Wir wissen, dass es nicht um die „means“ zur Lusterfüllung sondern um die Bedeutung, um „meaning“ geht. Dass die höhere Sinnlosigkeit der modernen Gesellschaft, die Grundstimmung von Langweile und Depression, sowie die Gefühlstrias aus Abhängigkeit, Aphatie und Agression erzeugt, hat Frankl gut herausgearbeitet.
Sein Schluss, und mithin die Zielsetzung seiner Existenzanalyse geht aber nicht tief genug. Ziel ist, platt gesagt, dass der Mensch „sich eine Sinn findet“. Dieser kann auch völlig subjektiv ausgestaltet sein: seine Familie, ein Hobby, ein soziales Engagement etc.
Im Endeffekt verbleibt Frankl hier in einem subjektivistischen-voluntaristischen Weltbild, das gerade die Grundlage für die moderne Epidemie der Depression bildet. Frankl ist daher vorzuwerfen, dass er den epochalen Grund dieses epidemischen Depressionsaufkommens in der Moderne nicht hinterfragt hat. Es fehlte ihm wohl auch die Fähigkeit die philosophiegeschichtliche Dimension zu erfassen. Er wollte, als echter Menschenfreund, im Grunde einfach nur „helfen“, und hat das sicher in Einzefällen auch getan. Doch er konnte und kann mit der Sichtweise seiner Therapie nicht „heilen“ und nicht auf den Grund gehen.
Die persönliche, beliebige „therapeutische“ Sinnsuche und Sinnstiftung macht den Sinn letztlich zu einer Funktion des Wohlbefindens. Sie funktioniert nicht anders als Freuds Triebwünsche, und ist lediglich auf einer anderen Ebene mit anderen Gesetzmäßigkeiten verortet. Der Sinn verliert damit seinen Bezug zur Wahrheit zur Welt und zum Sein. Die Erfahrung der Angesprochenheit und Unverfügbarkeit, die eine echte Sinnerfahrung ausmacht, wird so gar nicht erst ermöglicht. Stattdessen geht es um eine (Er)Findung des DIY-Sinns aus dem naheliegenden Gesichtskreis des Alltags. Diese Schiefheilung perpetuiert die Fundamente des Nihilismus, und damit der Grundstimmung der Langeweile und Depression. Sie ist letztlich nur eine ausgefeiltere Form der Sedierung, ein besonders Angebot am Jahrmarkt der Sinnstiftung, die nur wirkt wenn man niemals ersthaft nach Sinn und Wahrheit und ihrem Entzug in der Moderne gefragt hat.
Es ist am Ende nur die Daseinsanalyse, eine von Medard Boss in Zusammenarbeit mit Heidegger entwickelte Therapieform, die diese Fragestellung ermöglicht. Es fehlt hier der Raum sie in ihrer Gesamtheit zu beschreiben. Für alle Interessierten sei gesagt, dass sie nach dem Krieg in den sog. „Zollikoner Seminaren“ aus Vorträgen Heideggers an ein ausgewähltes, medizinisches Fachpublikum entwickelt wurde. Die Daseinsanalyse steht in einer Fundamentalopposition zum modernistisch-mechanistischen Menschenbild der Schulmedizin, sowie zum Subjektivismus der Freudianischen Psychoanalyse.
Sie erkennt darin den Ausdruck eines modernistisch-metaphysischen Welt- und Menschenbildes, das das Dasein des Menschen missdeutet. Viele Ansätze der kontemporären Alternativmedizin, vor allem die „Ganzheitlichkeit“ wurden in diesen Seminaren bereits vorweggenommen, und in philosophischen Tiefe beschrieben.
In Heideggers Interesse an der Daseinsanalyse zeigt sich klar sein eigener „ganzheitlicher“ Seinsgeschichtlicher Ansatz. Die Frage nach dem Sein ist kein abstraktes Thema der Philosophie. Genau wie Heidegger das Dasein in seinem vollen existenzialen Umfang, von der Ratio, über die Körperlichkeit bis zur Stimmung erkennt, so betrifft auch die erneute Frage nach Wahrheit und Sinn diesen vollen Umfang. Sie erfordert den Einsprung in die konkrete geschichtlich-politische Lage, aber auch die Auseinandersetzung mit dem konkreten Leiden des persönlichen Daseins, indem es von der Welt durchfurcht und durchzogen wird.
Das moderne Weltbild des „Humanismus“ ist für all das blind. Es missdeutet den Menschen, die Welt und jedes Leiden als materiellen Mangel. Sein Antwort und seine Lösungen sind zutiefst unmenschlich. In der Modernen gehen nicht nur die Umwelt, die Völker und die Kulturen, sondern auch die einzelnen, die Menschen selbst zugrunde. Wer sich in ihren urbanen Zenralen um und den Menschen in die Augen sieht weiß wovon die Rede ist.
Genauso zerstörerisch wie auf die Politik und die Gemeinschaft (Atomisierung, Gesellschaftsvertrag, Individualismus, Kollektivismus) so wirkte der der cartesianische Subjektivismus letztlich auch auf den je Einzelnen, indem er das Dasein in das nackte Bewusstsein und seine biologische „Körpermaschine“ spaltet. Die mit der modernen Philosophie anhebende, moderne Medizin betrachtet den Körper als eine Art Triebwerk und Ersatzteillager, an dem man biomechanisch herumschrauben kann. Freuds Psychoanalyse ist die gewaltsame Übertragung desselben Denkmodells auf die „Psyche“.
In der Daseinsanalyse gewinnt der menschliche Leib, seinen Eigenbereich wieder zurück. ohne das ein „Animalismus“ und Triebkult gepredigt würde.. Der Leib des Daseins ist nicht rein körperlich. Er endet nicht mit der Hautgrenze- man darf ihn nicht mit dem Körper verwechseln. Die Gleichsetzung ist eine Fehldeutung die das „hinterherlaufende Suchen nach dem Seelischen, zu dem vorher als Körper missdeuteten Leib“ bedeutet.
Merleau Ponty hat das in der Nachfolge Heideggers in seiner Leibphilosophie wunderbar ausgearbeitet. Unser Leib strahlt aus, er ist eingefügt in das Fleisch der Welt. Wir selber erleben das jeden Moment da wir uns nicht als „Bewusstsein mit einem Körper“ sondern im Hören von Geräuschen, im Schmecken, Tasten und Denken als leibhaft(ig) erfahren. Der Leib ist kein „Gegenstand“ es ist eine Art und Weise des Existierens, wie wir „leiben und leben“. Wir „haben“ keinen Körper, sondern als Dasein, sind wir ein Leib, unsere Existenz ist leiblich, verletzbar, robust, bedingt und gebunden. Der geistige „Selbstreflexion“, entspricht die eigene sensuelle Wahrnehmung unseres Leibes.
Dieses „Leiben“ gehört zu unserem Dasein und seinem in der Welt sein. Dieses ist ohne jenem nicht möglich.
Auch das Denken ist daher, wie die indische und viele anderen nicht universalistisch-bewusstseinsphilosophischen Traditionen, immer schon wussten, ein zutiefst „leiblicher“ Akt. Wir „verfügen“ über es ebenso begrenzt wie über unseren eigenen Körper. Die Trennung von Geist und Körper, vom „reinen abstrakten Denken“ und vom nackten Sensuellen, ist eine der tiefschürfendsten Folgen des neuzeitlichen Denkens. Ob das eine oder das andere als Höherwertig gepredigt wird, ob man einen klassischen Rationalismus und eine Zurichtung und Versklavung des Körpers vertritt, ob man einen romantischen Irrationalismus und Gefühlskult ein „aus dem Bauch heraus“ Leben predigt – man tritt nicht aus der Spaltung heraus. Der zottelige Orgon-Urschrei Kommunengeist, ist genau wie der Bodybuilding Wahn nur ein Modus dieses falschen Körperverhältnisses.
Krankheit wird in der Daseinsanalyse nicht als eine mechanische oder psychische Funktionsstörung gesehen, die vom Körpermechaniker behoben werden muss, sondern als eine Einschränkung des freien Vollzugs des Daseins eine „Seinsminderung des Daseins“. (Condreau, S. 189)
Krankheit ist auch immer eine Frage des eigenen Lebensgefühls, und auch teilweise eine gesellschaftliche und politische Konvention. (Homosexualität schien noch vor wenigen Jahrzehnten als Krankheit auf. Heute gilt hingegen Homophobie als psychopathologischer Zug.) Menschen die von der Naturmedizin als Krank beschrieben werden, können sich selbst völlig gesund fühlen und auch gesund leben. Menschen die eigentlich „kerngesund“ sind, können in ihrem Lebensvollzug völlig eingeschränkt sein. Gesundheit ist, wie Nietzsche sagt; „dasjenige Maß an Krankheit, das es mir noch erlaubt, meinen wesentlichen Beschäftigungen nachzugehen.““ Pathologisch ist das was den freien und gesellschaftlich als normal erachteten Vollzug des sozialen und beruflichen Lebens beeinträchtigt.
Wir rühren hier wieder an die Problematik des „Parallelismus“, wollen aber nicht zu tief in die Fragen der Medizin und der Psychosomatik eintauchen. Nicht zu leugnen ist, dass die moderne Naturmedizin, die auf dem neuzeitlichen Subjektivismus und Materialismus aufbaut, das gesamte menschliche Dasein ebenso verkennt, wie die modernen Gesellschafts und Staatstheorien das Volk.
Diese Sicht ist dabei nicht grundfalsch, sondern eher verkürzt. Sie wird „falsch“ wenn sie diese Verkürzung und Perspektivität vergisst und sich verabsolutiert. Auch eine Sicht die den Mensch nur als ein Seiendes und Seienden auffasst und ihn vergenständlicht, wird Richtiges über ihn aussagen, aber ihr bleibt das Wahre, das „Zentrale des Menschseins“ verborgen. „Natürlich kann man den Menschen auch naturwissenschaftlich als Naturteil betrachten. Die Frage bleibt nur, ob dann noch etwas Menschliches herauskommt, das den Menschen als Menschen trifft.“ (Heidegger, Zollikoner Seminare, Klostermann, Frankfurt,1987, S. 34)
Die Daseinsanalyse befasst sich dagegen aus fudamentalontologischer Sicht mit der Befindlichkeit und Gestimmtheit des Daseins. Sie ist nicht wissenschaftsfeindlich sondern gegen die Verabsolutierung der Naturwissenschaft. Im Grunde ist die die medizinische und vor allem psychotherapeutische Konsequenz aus der umfassenden philosophischen Frage Heideggers. Die gigantischen Erfolge der Alternativmedizin, die im Fahrwasser der gesamten postmodernen Wissenschaftskritik aufkamen, zeigt das Heidegger hier, ähnlich wie Nietzsche, in einer philosophischen „Prophetie“, eine unterdrückte Sehnsucht, ein Defizit des modernen Menschen vorausgehen hatte.
Die Daseinsanalyse ist der Sprung aus dem modernen Weltbild in „eine entsubjektivierte Einstellung gegenüber der Welt, welche das, was begegnet, nicht mehr als verfügbare Objekte in Besitz nimmt, sondern als das sein lässt und behütet, was es selbst ist.“ (vgl. Boss, Grundriss, S. 391, S.585)
Bei bekundetem Interesse kann sie hier am Funken in Zukunft eingehender thematisiert werden. Ihre Bedeutung für unseren politischen Widerstand könnte aber bereits klar geworden sein. Die epidemische Depression unserer Gesellschaft, die Grundstimmung die sich zwischen Dekadenz und Nihilismus entfaltet, prägt und fragmentiert jeden einzelnen „Insasssen“, egal welche soziale Stellung und politische Überzeugung er hat. Wenn wir in unserer Revolte gegen die Moderne Welt nicht nur populistische Rotationsmaschinen zum Druck sein wollen, sondern in die philosophisch-seelische Auseiandersetzung eintreten, muss diese Stimmung, „psychonautisch“ erforscht werden.
In diesem, von Wissenschaft und Schulphilosophie, vergessenen Bereich wuchern die esoterischen Lehren, die abstrusesten Doktrine, wirrsten Geheimbünde, Orden und Sekten. Mit der Daseinsanalyse bietet sich nun ein, organisch in Heideggers und Dugins philosophisch-politische Analyse eingefügter Verständniszugang zur Stimmung und zum Seelenleben des Modernen Menscehn.
Das hat einerseits eine Bedeutung für den politischen Kampf, für das Finden der richtigen Bilder und Worte, die einerseits taktisch-populistisch die Reflexe des modernen Subjekts bedienen können wo es nötig ist (etwa im lokalpatriotischen Standortpatriotismus, im westlichen Anti-Islamismus und sonstigen „partikularistischen Zuckungen“ der Moderne, die nicht politischen Dilletanten überlassen werden dürfen).
Vor allem aber ist die Daseinsanalyse unerlässlich für das wahre Ziel, den Ausbruch aus dem neuzeitlichen Subjektivismus und seinen soziopolitischen Konsequenzen. Hier hilft sie uns die geheime Sehnsucht, den versteckten „Hunger nach Identität“, der Versöhnung mit dem eigenen Dasein und seiner Geschichtlichkeit, in ihren aktuten Erscheinungs- und Andockformen zu erkennen.
Ohne in einen reinen Pragmatismus zu verfallen, wie es die Techniken des Neuromarketing, und der politischen Propaganda tun (die ebenso studiert und gemeistert werden müssen), oder einem sektiererischen Esoterismus zu fröhnen wie es ein Großteil der traditionalistischen Schulen tun, stellt die Daseinsanalyse die Grundfrage und bringt das private Elend des Einzelnen mit der seinsgeschichtlichen Lage des Ganzen zusammen.
Sie deckt eigentlich den Zusammenhang auf. Sie fragt nämlich stets nach dem „Ontologischen Sinn des seelischen Leidens“ (Holzhey). Und hier schließt sich der Kreis, zur Anfangsfrage des Textes. Die Häufung des manisch-depressiven, sensiblen Typus, welche vor allem am modernen Nihilismus leidet, in den rechten Zusammenhängen, verbindet sich mit der daseinsanalytischen Ergründung der Depression und ihres Bezugs zur Seinsfrage.
Deprivolte gegen die moderne Welt
„Daseinsanalystisch stößt man auf den ontologischen Sinn seelischen Leidens, wenn man von der Frage ausgeht, woran der selisch Leidende eigentlich leidet. (…) Das Besondere des daseinsanalytischen Anssatzes liegt also darin, selisches Leiden nicht mit einem „Zuwenig“ (Beeinträchtigung, Defizite, Misslingen), sondern mit einem „Zuviel“ in Verbindung zu bringen, nämlich einer zu großen Hellhörigkeit oder Hellsichtigkeit für die beängstigende Grundsituation menschlichen Existierens. Je hellhörigere ein Mensch für die abgründigen existenziellen Wahrheiten ist (Endlichkeit, Freiheit, Ungeborgenheit, Schuld) je weniger er die im Alltagsbetrieb „vergessen“ kann, umso größer ist die Gefahr, dass er seelisch „erkrankt“.“
Holzhey, S. 19f
Das Rechte Lager: die Patrioten, Konservativen, die Parteigänger der gefallenen Werte und umgeworfenen Ideale, die sich heimlich in den Katakomben der Multikulturellen Partywelt sammeln sich in alte Zeiten sehnen, stehen heute im Kreuzfeuer des gesellschaftlichen Hasses und der staatlichen Repression. Es scheint als würde sich der Hass des Weltgeists, die Destillation des Vernichtungswahn aus Hexenverfolgung, Holocaust und Holdomor heute, vollstreckt durch gutmenschliche Privatinquisitoren, gegen die „Nazis“ entladen. Hinter dem „raus“, in „Nazis raus“ verbirgt sich ein klarer Vernichtungswunsch, dem man heute, gesellschaftlich anerkannt, fröhnen kann und den zu kritisieren, sofort den Verdacht selbst ein „Nazi“ zu sein aufkommen lässt. (Also lässt man es lieber bleiben.)
Identitäre, die eine Sehnsucht nach Wahrheit, Sinn, Stil und Werten haben, stehen aber auch gleichzeitig im Wetterzentrum eines „metaphysischen“ Hochdruckgebiets.
Der Entzug von Wahrheit und Sinn trifft uns so intensiv wie niemanden sonst. Nicht umsonst sind es die Subkulturen mit dem größten Hang zum einem gewissen Kulturpessimismus wie Metal, Gothic, Neofolk, etc welche die engste Verwandtschaft mit der politischen Rechten aufweisen. (Auch der langsame Trend der Meme-Subkultur, die mit ihrer Zusammenballung aus totalem Zynismus, Emotionskult und moralischer Indifferenz geradezu symptomatisch für die Grundstimmung steht, tendiert folgerichtig immer mehr nach „rechts“ ins emotionale Schmerzzentrum. )
Wir sind in Wahrheit die „Sensibleren“, die Romantiker und die Feinfühligen, die neben dem materiellen Schmerz eine Ader für den „geistigen Schmerz“ haben. Die stummen Schmerzensschreie der gefallenen Götter, Kathedralen, der sterbenden Ideale, Werte und Traditionen, schneiden uns ins Fleisch. Uns erfüllt eine „höheres Mitleiden“ mit den letzten Mitmenschen, das ihnen weniger ihr Harz4, die Pornoflatrate und die Tiefkühllasagne als eine erlösende Krise wünscht, die ihnen ihre eigene Kleinheit bewusst macht. Dieses Leiden ist in den Augen der modernen Blooms eine Torheit, in den Augen der Linken ein Ärgernis. Es gilt als Dekdadenz, als Ausfluss bürgerlichen Überflusses, als Frechheit, angesichts des immer noch bestehenden Welthungers. Tatsächlich ist die Tatsache des materiellen Überflusses, indem sich dieser Überdruss, der erlebte Nihilismus der in der politischen Rechten zum „aktiven Nihilismus“ wird, keine Zeichen von Heuchelei oder „Charakterschwäche“. Die Dekadenz selbst ist ein Fluchtphänomen des Nihilismus in die Quantität. Die Depression ist ihr wesensverwandt.
Sie ist eine Avantgardebewegung des Verfalls, die notwendig an der Spitze und im überfetteten Zentrum des westlichen Fortschritts entstehen muss. Wir erleben darin, am Gipfel aller Sehnsüchte und Wünsche der Entwicklungsländer und Wirtschaftsflüchtlinge stehend, den epochalen Betrug, den dieses Glücksversprechen bedeutet. Wir sind der leuchtenden Neonröhre, die sie wie die Motten anzieht, bereits zu nahe gekommen und kleben verbrannt und ausgebrannt an ihrer Scheibe. Anders als die oben erwähnten, roheren Naturen, sind wir nicht in der Lage in der nächsten Nähe zu leben, uns maßvoll zu berauschen, wie Nietzsches letzter Mensch. Der Typus der in den rechten Zusammenhängen beheimatet ist geht auf das Ganze. Wenn er in den Konsum geht, die Kicks, den Rausch und die Flucht in die Fantasie sucht geht er immer aufs Ganze, er will das Vollkommene. Oft zerbricht er daran physisch oder psychisch.
Er sucht das erfüllende Ganze und findet dieser Gesellschaft nichts.
Genau um dieses Nichts wird es jetzt gehen, wenn wir die Herangehensweise der Daseinsanalyse auf die Grundstimmung des Westens anwenden und ihr Wesen analysieren. Wir werden dabei erkennen, dass die epidemische Depression, in deren Epizentrum die, manisch Depressiven Rechten zappeln, ein Leiden am Entzug des Seins selbst sein könnte. Es wäre ein seinsgeschichtliches Leiden am Gestell, das, wenn es sich als solches erkenn, zu einer Aufgabe werden kann. Die sogenannte „Heilung“, d.h. die Sedierung dieses Leidens erscheint in diesem Licht womöglich als ein Abschneiden der Fühler, ein Abstumpfen des Sensoriums für den Zustand der Gesellschaft. Das Anpassen an und Funktionieren in einer kranken Gesellschaft, ist kein Zeichen von Gesundheit und keine Heilung: es ist die Unterdrückung des verborgenen Sinns der uns uns in der Niedergeschlagenheit und im Leiden anspricht. Dieser Sinn ist zugleich auch das das woran des Leidens. Wir leiden an nichts. Der Sinn unseres Leides ist das Nichts.
Wir leiden an nichts.
Heideggers Seinsgeschichtliche Frage erkennt in einer überepochalen Sicht, den Verhängniszusammenhang der abendländischen Philosophiegeschichte als Entfaltung des Nihilismus. Er erkennt mit der modernen Auslegung von Mensch, Welt und Wahrheit, die gesamte Gesellschaft, Politik, Religion, Wirtschaft und Kultur in einen kristallinen Verständnishorizonts eingesperrt ist, der sie blind für neue Erfahrungen des Seins macht. Im Unterschied zu früheren seinsgeschichtlichen Epochen ist im neuzeitlichen Subjektivismus der Moderne kein Raum mehr für Sinn und Wahrheit. Das Quantitative, Rechnerische, „Riesige“ hat jede Wahrheit der Kunst und Religion verdrängt. Gegenständlichkeit hat alle Dinge vertilgt und der Humanismus ertränkt die Welt in agressiven Moralismus, der alles andere zerfrisst und Richtung One World spült. Ein qualitativer, historischer Bruch, der das gesamte Dasein betrifft hat stattgefunden. Das Denken ist nach ihm präformiert. Der Körper ist in seine „Biomacht“ eingespannt. Vor allem aber ist auch die Stimmung der Einzelnen in die Grundstimmung dieser Seinsgeschichtlichen Epoche eingelassen. Frankls Analyse trifft, doch sie frage nicht nach dem Wesen und dem Woher dieser Grundstimmung, noch dem Grund des Enzugs von Sinn. Gion Condreau schreibt dazu:
„Und bedeutet „Sinn“ für jenen, der keinen Sinn mehr darin sieht, weiterzuleben, dasselbe wie für jenen, der seinem Lieben wieder einen Sinn geben möchte, oder für den anderen, der an unserer Zeitkrankheit der „Sinnlosigkeitsneurose“ leidet? Sinn, das sahen wir bereits kommt von „sinan“ und bedeutet „auf-dem-Wege“. Es ist also zukunftsweisend. Wenn ich nach dem Sinn meines Lebens, meines Tuns und Handels frage, so meint die Frage gleichzeitig, ob ich auf dem rechten Weg sei. Insofern beinhaltet der Sinn nicht nur den Weg, sondern auch das Ziel.“
Condreau S. 115F
Die Ziellosiggkeit und Weglosigkeit, das Fehlen einer historischen Aufgabe für die Völker wie für den Einzelnen, das „Ende der Geschichte“ führt zum Nihilismus, zur „Sinnlosigkeitsneurose“ und zur allgegenwärtige Langeweile.Das Ende der Geschichte stellt sich in der Seinsvergessenheit und im Einfrierens des Weltbildes auf das Gestell und die modernistische Sicht des Seins ein. Die moderne Weltsicht schottet sich gegen alle anderen vergangen und möglichen kommenden ab. Jene erklärt sie als „unmenschlich“, „reaktionär“, „ewiggestrig“, diese als „wahnhaft“. Sie projiziert ihre Auslegungskategorien in die Vergangenheit und in die Zukunft. Im monotonen Takt der Wiederholung des Immergleichen friert der Horizont ein. Dieser Sinnverlust ist der Grund für die moderne Steigerung der Depression.
Der qualitative Bruch
Diese selbst ist natürlich kein axklusiv modernes Phänomen. Sinn verstand sich niemals „von selbst“. Sinn und die Erfahrung von Sein mussten immer errungen werden. Selbstverständlich gibt es auch genetische Veranlagungen, oder geistig-umweltliche Beeinflussung in der Kindheit, die den Einzelnen für ein Leben in der Depression prädestinieren können. Es gibt exogene Traumata, schreckliche Erlebnisse die ihre Schnitzer hinterlassen. Immer schon gab es auch endogene geistige Störungen wie Schizophrenie und Epilepsie. (Hier ist allerdings wiederum der neuzeitlich-materialistische Blick auf die Krankheit kritisch zu betrachten. Viele Autoren beschreiben die bestimmten sozialen und religiösen Rolle, die solche „kranke“ Menschen in ständisch gegliederten traditionellen Gesellschaften inhatten.) Dennoch spielen sich auch all diese psychischen Vorfälle und Zufälle im Rahmen einer Grundstimmung und der von ihr bestimmten Gesellschaft ab und werden von ihre intensiviert und begünstigt.
Wichtig ist, dass wir die qualitative Veränderung und den „Quantensprung“ klar herausarbeiten, indem die Depression von der Ausnahme zur gesellschaftlichen Epidemie und Grundstimmung wird. Diese Veränderung geht Hand in Hand mit dem „Tod Gottes“, dem Verlust aller sinnstiftenden Instanzen. Sie wurde von den feinsten Geistern, wie etwa Nietzsche, welche die Hinfälligkeit dieser Instanzen erkannten als sie noch gesellschaftlich „wirksam“ waren, bereits lange vorausgesehen.
Wir sehen in der Veränderung zur Grunstimmung der Langeweile eine Analogie zur qualitativen Veränderung der ökonomischen Verständnisse im Kapitalismus wie sie Max Weber herausarbeitet, ebenso wie in der qualitativen Verschiebung des Weltbildes im Empirismus.
Immer schon gab es Sinnlosigkeitsneurosen (zahlreiche Werke der Literatur zeugen davon), es gab die mittelalterlichen „calculatores“, den „Abenteuerkapitalismus“, der Medicis, Fugger und Rothschilds. Die Enstehung des technischen Weltbildes, des Kapitalismus und des modernen Nihilismus, sind jedoch qualitative Sprünge in dene bisherigen „Ausnahmefälle“ zur gesellschaftlichen Norm werden. Ein längeres Zitat einer Daseinsanalytikern fasst das bisher Gesagte gut zusammen:
„Jede Kultur liefert kollektive Sinndeutungen, welche sich explizit auf existenzielle Grunderfahrungen beziehen. Sie sind in der Regel religiöser oder quasireligiöser Art und nehmen (mit Ausnahme des Buddhismus) eine transzendente Instanz „jenseits der Welt“ als Sinnstifterin und Sinnbewahrerin in Anspruch. Transzendente (metaphysische) Sinndeutungen sind insbesondere dann gefragt, wenn durch katastrophale Ereignisse aller innerweltlicher Sinn fraglich geworden ist. Sie haben meist eine lange Tradition. Der gesunde Menschenverstand findet in diesem tradierten Sinnwissen, seine notwendige Ergänzung. Seine Standhaftigkeit rührt also auch daher, dass er in alten Traditionen wurzelt. Die Moderne hat hier allerdings einen radikalen Wandel mit sich gebracht. Ein mehr oder weniger geschlossenes und allgemein verbindliches Weltbild ist durch eine Vielzahl von Sinnangeboten abgelöst worden. Damit hat sich für das Individuum ein früher unvorstellbarer Spielraum eigener Lebensgestaltung eröffnet. Diese Emanzipation des modernen Subjekts hat allerdings eine Kehrseite, wenn man beachtet, dass mit der Verbindlichkeit tradierter Weltdeutungen auch ihre immunisiernde Wirkung gegenüber Seinserfahrung weggefallen ist. Unter den Bedingungen der Moderne drängen sich nun auch im Alltag die ontologischen Einschlüsse schneller und wirksamer, verwirrender und beunruhigender auf. Viele Menschen empfinden hierbei ein Defizit, das sie durch Orientierung an neuen Heilslehren zu beheben suchen. Das typisch moderne bzw. postmoderne Warenlager von Sinnangeboten aus allen Kulturkreisen ist aber in sich so widersprüchlich, dass es nur schwach und meist nur für kurze Zeit eine immunisierende Wirkung entfalten kann. Mit der fortschreitenden Auflösung überlieferten Sinnwissens hat auch der gesunde Menschenverstand sowohl an Stabilität wie an Tiefe verloren. Er äußert sich heute vermehrt in kurzlebigen Auffassungen, die gerade im Trend sind und darüber Auskunft geben, was derzeit „in“ ist. Das legt den Schluss nahe, dass das moderne Subjekt für seelisches Leiden disponierter ist, weil es ohne jene Schutzvorkehrungen auskommen muss, die es traditionellerweise vor überfordernden und deshalb „krank machenden“ Seinserfahrungen schützte. Sein Alltag ist nicht mehr „seinsberuhigt“, und das gilt nicht nur für den Alltag von Erwachsenen, sondern ganz genauso und wohl noch mehr für den Alltag von Kindern, die besonders darauf angewiesen sind, den Umgang mit Seinserfahrung zu lernen. Die Folgen bestehen darin, dass ganz triviale Enttäuschungen und Kränkungen unkontrollierbare seelische Prozesse in Ganz zu setzen vermögen.“
Holzhey S. 216F
Man kann über Holzheys Auslegung des Sinns als „immunisiernde Wirkung gegenüber krankmachenden Seinserfahrung“ streiten. Faktisch ist aber, das mangels Sinn die unauslöschbare Sinn- und Seinsfrage, die unsere eigene Sterblichkeit uns aufdrängt krank macht. Der moderne Mensch ist zugleich völlig abgestumpft und irsinnig empfindlich. Mit Ironie und Gleichgültigkeit bedenkt er das, was einem anderen Menschentum als höchste Blasphemie galt. Jedoch die kleinste Kritik an seiner Person, die kleinste Erinnerung seiner Endlichkeit, den Verlust seiner Schönheit, seiner Arbeitsfähigkeit, seiner Konsummöglichkeiten kann ihn in die tiefste Verzweiflung stürzen. Die Grundstimmung treibt nicht alle in eine pathologische, das heißt Soziales und berufliches Funktionieren beeinträchtigende, Depression. Dennoch sind alle unweigerlich in ihr verfangen. Das Arbeitspensum der wachsenden Zahl an Therapeuten, für die wachsende Zahl der „Verstimmten“ ist letztlich vergebene Liebesmüh. Sie ist in der Regel eine reine Umverteilung des schwindenden Sinnangebots, eine „Erfolgsoptimierung durch Erwartungsreduktion“, die die Transzendenz der „Patieten“ betäubt um sie mit dem Leben im Falschen „zufrieden“ zu machen. Ein „eigentlich Depressiver“, wie wir ihn später beschreiben werden, kann durch eine derartige Therapie in keiner Weise berührt werden. Alle anderen werden von ihr lediglich neu und besser „eingestellt“.
Heideggers seinsgeschichtliche Analyse erkennt den qualitativen Sprung der neuzeitlichen Grundstimmung, über alle kulturkonservativen Interpretationen hinaus in seiner vollen Größe. Die Daseinsanaylse erkennt und beschreibt seine Wirkung in der Konkretion im unmittelbaren einzelnen Erleben. Im Gestell erscheint das Sein nicht mehr. Das bedeutet: es gibt keine echten Sinnzusammenhänge, keine echten Ganzheiten, keinen organischen Inneren Zusammenhang, keine Qualität mehr. Alles erscheint nur mehr, notwendig im Licht der Berechnbarkeit und Manipulation. Gleichzeitig ist der Zugriff und die Erwartung des Menschen nur auf derartige Erscheinungen gerichtet. Da wo in anderen Seinsgeschichtlichen Epochen, Sinn, Werte und Aufgaben waren ist heute nichts.
Was bedeutet das für die konkrete Depression?
Heidegger beschäftigt sich, lange vor der Entwicklung der Daseinsanalyse mit den Stimmungen und Gestimmtheiten des Daseins. Der Bedeutung der Stimmung wandelt sich dabei analog zu seiner eigenen Entwicklung von der transzendental-horizontalen Fundamentalontologie als Befindlichkeit in Sein und Zeit bis zur Grundstimmung des Ereignisdenkens. Stets ist sie aber von “vulgären” konkrete Gefühl zu unterscheiden und hat eine ontologische Bedeutung. Die Stimmung bildet, einfach gesprochen, erst den Rahmen für unsere Welterfahrung, für Gefühle und Haltungen, die uns durch die Stimmung als Ganzes erschlossen sind. Eine besonder Rolle hat für Heidegger die Stimmung der Langeweile. Sie überkommt uns „wenn wir mit den Dingen und uns selbst nicht eigens beschäftigt sind“
Was ist MP, S. 110
Diese Erfahrung ist nicht grundsätzlich negativ, sondern für Heidegger der fundamentalontolgoische Ansatz einer Sinn und Seinsfrage. Insofern nämlcih als die Langeweile uns aus den konkreten, betrieblichen, routinierten Bezügen auslässt und das Seiende in seiner Ganzheit erfahren lässt. (Wir verzichten hier darauf näher einzugehen, wie wir auch eine Erläuterung des Begriffes „Nichts“ hier unterlassen werden.) In der Langeweile streift uns ein Hauch des Nichts an. Es geht uns um nichts mehr. Nichts beschäftigt uns, nichts erfasst unsere Aufmerksamkeit.
In der Langeweile lösen sich Subjekt und Objekt gleichsam auf:„Sie bricht auf, wenn »es einem langweilig ist«. Die tiefe Langeweile, in den Abgründen des Daseins wie ein schweigender Nebel hin- und herziehend, rückt alle Dinge, Menschen und einen selbst mit ihnen in eine merkwürdige Gleich-gültigkeit zusammen.“
oa S. 110
Die „eigentliche“ Langeweile, wenn man sich auf sie einlässt, ist ein Gestimmtsein in der sich jeder Fokus verliert, eine meditative Stimmung, in der alles zusammenfließt. Wir kennen sie vielleicht aus verträumten Nachmittagen, wenn wir als Kinder im lichtdurchfluteten Wohnzimmer am Boden lagen und „nichts“ machten. Diese Langeweile hat ein kreative Potential, sie ist den Tieren unbekannt und eine zutiefst menschliche, philosophische Eigenschaft, aus der wir uns oft mit genialen Einfällen und ungeahnten Antrieben in die Welt zurückgeworfen vorfinden. Doch in der Langeweile als Grundstimmung, die eigentlich als eine aufgezwungene Gleichgültigkeit auftritt, ist diese kreative Qualität völlig verloren. Es ist alles gleichgültig. In einer aphatischen, defokussierten Stimmung sind wir unfähig unseren Willen auf Ziele zu richten. Alles erscheint in einem gleichen, eintönigen grau, das sogar Geschmack uns Tonreize einhüllt und fade werden lässt.
Diese Unfähigkeit unser Interesse an eine Sache zu heften, sich für irgendetwas zu begeistern, diese totale tiefer Antriebslosigkeit, die über konkrete Faulheit weit hinausgeht, ist ein Grundstadium der Depression und Niedergeschlagenheit. Sie äußert sich in einem allgemeinen Gefühl der Schwäche, Passivität, Überforderung. Es ist von anderer Qualität als die „hysterische Schwäche“ einer Diva, in der es immer um die Ausübung einer Bestimmten Wirkung auf andere geht. Auch wenn sie manchmal so beginnt. Die echte Depression ist keine Pose ist kein Theater mehr. „Der Depressive ist außerstande, irgendeine Selbstdarstellung zu inszenieren, er kann nich anders, als sich so zu zeigen, wie er ist bzw. wie er sich fühlt.“
Holzhey S. 304
Der plötzliche Entzug aus der Gesellschaft, das alles absagen, das Alleinsein wollen, die unerträglichkeit von Gesellschaft Zeichnen die Depression aus. Es ist kein geheimer Zweck mehr hinter dem Verhalten. Man ist überfordert, leidet an sich selbst und stößt auf das völlige Unverständnis der Anderen. Die Daseinsanalytikern Alice Holzhey-Kuhn schreibt
„Die hermeneutische Daseinsanalyse hingegen setzt darauf, dass nicht ein konkreter Verlust als solcher, sei er nun bewusst oder unbewusst, depressiv macht, sondern der Verlust jenes Seinssinns, in dem das bisherige Leben gründet, wobei dieser ontologische Verlust durch einen konkreten Verlust von etwas ausgelöst sein kann oder auch nicht.“
Holzhey S. 306
Dieser Verlust ist der Entzug jeden konkreten Weltbezugs der als Grundstimmung der Gleichgültigkeit alle Emotionen auffrisst. Ein Grauen gegen das oft sogar das Erleiden konkreter Schmerzen (die Selbstverstümmelung), die konkrete Selbstzerstörung, ein konkreter Hass, eine konkrete Erniedrigung lebenswerter erscheinen. Man will „irgendwas“ spüren. Was ist dieser Verlust, der die Depression ausmacht? Das Fragen sich auch immer die Umstehen, die Angehörigen und Bekannten. „Was hat sie/er denn?“ „Was fehlt ihr/ihm denn? Die Fragen und Aufmunterungen sind stets auf konkrete Dinge, auf Fähigkeiten und Chancen die man hat, auf Fehler und Einschränkungen die man nicht hat, bezogen. Sie richten sich an das Gefühl der konkrete Trauer, das von der Grundstimmung der Depression unterschieden ist.
Alle Lösungsangebote gehen ins Leere. Am Ende bleibt meist der Vorwurf dass man sich „etwas einbilde“. Warum kann man nicht funktionieren wie die andern? Warum ist man so undankbar? Warum regt man sich so auf wegen „nichts“? Und hier ist der Nagel auf den Kopf getroffen.
Der wahrhaft Depressive leidet an nichts. Es gibt keinen Grund für sein Leiden. Er leidet am Nichts. Sein Leiden ist dass es keinen Grund für irgendetwas gibt. Er hat damit in der heutigen seinsgeschichtlichen Epoche nicht einen bestehende Sinn verloren. Er hat letztlich über den Rand der Tausend Instant-Sinnstiftungen geblickt und ihre tiefere metaphysische Nichtigkeit erkannt. Das Leben ist ihm in seiner Ganzheit sinn- und wertlose geworden weswegen auch kein Konkreter Anreiz eine Aussicht auf Besserung bringen kann. In ihm selbst in seinem Dasein sitzt ein Stachel, der alles erscheindende Seiende, alle Mitmenschen, im Licht der Gleichgültigkeit erscheinen lassen. Ja auch er selbst erscheint seiner Umgebung als gleichgültig kalt und gefühllos. Was ist dieser „Stachel“? Kann man ihn ziehen? Nein.
Denn es ist kein Stachel. Nichts ist hinzugekommen. Es ist, wenn es eine echte, existenzielle Depression ist, auch nichts weggefallen, dessen Wiederkehr das Leiden stillen könnte. Es ist vielmehr “ein Zuviel” da.
Ein Zuviel and Empfindung, das einen erst das unermessliche “Zuwenig” spüren lässt. Es ist kein Stachel, sondern eher ein „Fühler“ und eine „Antenne“. Der eigentlich Depressive der am totalen Sinnverlust leidet, hat keinen echten Verlust, keine echte Beschädigung erlitten. Er hat nichts. Das Nichts. Was er „hat“ das Zuviel an Empfindsamkeit, das ihn common Ground des Elends nicht verdrängen lässt.. Er hat ein Zuwenig an Zynismus, Rohheit, am „So tun als ob“, an Selbsttäuschung und höherer Gleichgültigkeit. Weil er diese nicht hat und die höhere Sinnlosigkeit erkennt und erleidete, muss ihm alles Konkrete als gleichgültig erscheinen.
„Er weiß zu viel – zu viel, um noch weitermachen, das Lebensprojekt weiterführen zu können, weil sich das, was seinem Leben bisher Kraft und Antrieb gab, als Illusion entlarvt hat. Damit ist die Besonderheit jenes Verlusts, den der Depressive beklagt, an den Tag gekommen.“
Holzhey S. 307
Es ist nicht der Verlust eines „Objekts“ wie beim Trauernden. Dieser sieht das Leben per se als sinnhaft und sinnmöglich — allein der Verlust des ersehnten Objekts macht es „sinnlos“. Ein Haltung in der dieses Sinnvakuum durchaus anderweitige erfüllt werden könnte. Er will nicht unbedingt den Suizid. Selbst der Akt des Suizids hat für ihn keinen Sinn, keine Bedeutung mehr. (Diese Gefahr besteht jedoch beim Umschlagen von die depressive in die manische Phase und umgekehrt.) Er ist auch nicht wirklich „verzweifelt“. Sogar zu dieser Emotion fehlt ihm das Interesse. Es ist ein einzigen langes, trauriges, antriebsloses Gähnen, das durch sein Dasein fährt.
Der Depressive hat die Überzeugung, dass das Leben per se sinnhaft ist und sein könnte, und durch eigene Taten oder Wunder werden kann, verloren. Darin hat er einen wesentlichen Zug des Gestells und des heutigen Nihilismus erkannt der auch Nietzsche verborgen blieb. Es ist unserer Willkür entzogen. Der Glaube sich selbst einen Sinn stiften und basteln zu können, der Glaube dass wir Gott getötet haben und neue Götter schaffen können ist die totale Steigerung des modernen Subjektivismus und der Machenschaft. Das Nichts regiert, das moderne Leben ist Sinnlos und es gibt erstmal nichts was wir persönlich daran ändern können. Nicht nur eine konkrete Situation ist sinnlos. Da Dasein und In der Welt sein an sich ist es. Kein neuer Job, kein Urlaub, keine Gönnung, kein Freund, keine Beziehung, kein Kind, nichts, kann diese Grundstimmung ändern, wenn sie echt ist.
Wenn man diese „helle Nacht des Nichts“, die Weltennacht einmal erfahren hat, einmal an diesem wahrhaften „rock bottom“ angelangt ist, trägt das eigene Dasein fortan eine Narbe, eine ständig, schmerzende Öffnung, die sich nie wieder schließen und kaum überdecken lässt. Man hat es sich nicht ausgesucht, es hat einen aufgesucht. Viele Verstimmungen schrammen hier nur der an Oberfläche. Die “Modedepression”, der Emokult, der Trendnihilismus auf Imageboards und social medias, ist keine existenzielle Depression, sondern nur eine Pose. Sie dockt am ontologischen Kern der Moderne, Materialismus, Hedonismus und Humanismus an und ist letztlich nur ein (besonders nervige) Variante des neuzeitlichen Individualismus. Zur existenziellen Depression gehört die geistige Auseinandersetzung, und die Suche nach ihrer Wurzel, die unweigerlich zur Revolte gegen die moderne Welt und ins rechte Lager führen muss. Daher trifft man hier viele die das Nichts wie einen Niederschlag erfahren haben, der sich in ihrem Gesicht, im Zucken eins Mundwinkels, im traurigen Blitzen eines Augenblicks, in einer nervösen Geste, unauslöschbar eingegraben hat.
Es gibt aus dieser Stimmung kein Entkommen duch ein „Zusammenreißen“, genau wie es kein Entkommen aus dem Gestell und Nihilismus allein durch eine geistige Anstrengung, oder eine politische eine Bündelung (vgl fasces; Bündel) der Kräfte gibt.
Die Welt wird wie eine glatte Graue Oberfläche die sich als Zellenwand entpuppt. Nirgends findet der Wille oder das Interesse mehr halt. Alles verschwimmt zur einförmigen Masse die nur mehr als Gleichgültigkeit oder Belastung empfunden wird. Reale körperliche Schmerzen (sie haben eine Sonderstellung, siehe oben Boderliner), und Kränkungen verschwinden damit nicht. Sie werden auf eine eigene indifferente Art und Weise erlitten, hingenommen und nur mehr als Bestätigung erlebt. Der Depressive schleift, ohne Weltentwurf und Orientierung, frei flottierend, wie ein Gefährt ohne Steuermann, über die Zacken des Seienden.
Er sieht sein eigenes Dasein, und das Dasein an sich als sinnlose Zumtung kapituliert davor. Seine letzte heimliche Freude, die hin und wieder aufblitzt, ist es, in es diese Kapitulation als Denkmal der Nichtigkeit zur Verzweiflung der Umstehenden aufzustellen. Allen Aufmunterungen zum Trotz am Leben zu verzweifeln.
Die Antriebslosigkeit des Depressiven die als Faulheit erscheint, ist die Nachwirkung des ontologischen Sinnverlustes. Sie äußert sich zuerst in einem ungesunden, selbstzerstörerischen Lebensrythmus, der sich auch auf das Immunsystem und die allgemeine Lebenskraft auswirkt und geistige, durch ein körperliches Kränkeln ergänzt. Äußere Veränderungen dieses Lebenswandels, etwa durch Stabilisierung der Schlafrythmen, Sport, bessere Ernärhung, geregeltes Leben durch Arbeit etc. führt meist nur kurzfristig zu positiven Schüben und stabilen Phasen.
Die Totale Dysfunktion des Depressiven in der modernen Gesellschaft wirft ihn aus der vorgesehenen Lebensbahn. Er vergeudet seine Zeit. Er verliert seine Arbeit, verpasst seine Ausbildungsziele. Irgendwann befindet er sich jenseits jedes Lebensentwurfs.
Jedes seelische Leiden führt zu einem gestörten Zeitverhältnis, „aber nur in der Depression wird diese Veränderung wahrgenommen und als leidvoll erlebt, weshalb es als ein typisch depressives Symptom gilt. Der Depressive erlebt sich als abgekoppelt von der intersubjektiven Zeit. Sie geht an ihm vorbei, geht nur für die anderen weiter, während seine eigene Zeit stillsteht. Holzhey S. 311f
Er ist aus der Zeit, wie aus den Weltbezügen „herausgefallen“. Er wird ein„lebender Anachronismus“ (Fuchs). Immer wieder wird aber dem Depressiven schlagartig bewusst, dass trotz seiner zeitlos leidenden Stimmung die zeit real weiterläuft und – GEGEN ihn läuft. Einerseits schafft sein Einigeln im Gesamtnein zum Dasein eine Erlösung vom Lebenskampf, also den Herausforderungen des Alltags vom kleines sozialen kontakt bis zur Karriere. Andererseits baut es einen immer größeren Erwartungsdruck eine immer uneinholbare Nachhollast ein, vor der er irgendwann nur mehr kapitulieren kann. Er findet sich in der Rolle des Versagers, des Gescheiterten ein. Er ist derjenige über den Rilke schreibt. „Es sind Abfälle, Schalen von Menschen, die das Schicksal ausgespieen hat.“ (Rilke, Malte)
Ein Verachtung vor sich selbst, die die Verachtung der anderen hundertfach übersteigt schleicht sich ein. Er versagt sich auch das Genießen kleiner Freuden und Ablenkungen, bekommt eine Gefühl der „Leidenspflicht“, in der Rolle der gescheiterten Existenz. Sie überfällt ihn oft in den unpassendsten Momenten und befiehlt den Rückzug aus der Gesellschaft. Diese Rolle des Leidenden und durch nichts Aufzuheiternden muss der schwere Fall der Depression, später auch in abgeschwächten Phasen gegenüber der Außenwelt aufrechterhalten. Kleine konkrete Genußmomente und Phasen der Erholung und Aufheiterung werden vor anderen verborgen und verleugnet. Das eigene kurze Willens und Begeisterungsaufflackern wird sogar vor sich selbst versteckt und vergeleugnet. Es würde am “ontolgischen Gesamtnein” rütteln.
Es würde mit einem mal wieder das „Funktionieren“ erfordern und das, in der Depression aufgestaute Schuld und Arbeitspensum über einen hereinbrechen lassen würde. Eine Gewalt zu der man in diesem Zustand der leichten Erholung meist auch faktisch zu schwach ist. Die Schwäche und Niedergeschlagenheit die Grundstimmung in der sich der Depressive befindet, entsteht selten durch eine Überlastung durch Arbeit. Das Überlastungsgefühl ist meist Ergebnis des Sinn- und Kraftverlusts im Zuge der Depression.
Zusammengefasst macht die Depression die ihren Ursprung in einer „ontologischen“ Ebene hat macht den Willen „krank“ und führt zur Apathie und Dysfunktion im „ontischen“ Bereich. Diese wiederum führt zu einer Ansammlung „ontischen“ Lebensdruck aus dem Umfeld, finanziell, beruflich etc. Dieser lässt die Verewigung der Depression, das Einfinden in der Rolle des Totalversagens, auch als „ökonomisch“ günstigere Perspektive erscheinen. Der kleine Schritt „heraus“ scheint unmöglich, auch weil das Umfeld eine totale sofortige Heilung aus der „Einbildung“ in die man ja ebenso plötzlich verfallen ist, erwartet. Damit verstärkt und verewigt sich die Depression selbst und unterdrückt die Ausbruchschancen, die auch ein schöner Tag, ein gutes Essen, eine nette Unterhaltung zuspielen können. Zahlreiche Dopaminmaschinene, ein schier endloses Reservoir an Serien, Filmen, Games und Pornos, stehen bereit um den isolierten Depressiven in den kurzen Momenten der Erholung, die Lebenskraft und Lebenszeit abzusaugen und ihn nach einer “Binge-session”, wieder in Selbstmitleid und Apathie sinken zu lassen. Gefängnis der Depression, aus dem keine postiven Stimmungsschwankung mehr herausführt ist perfekt. Gibt es einen Ausbruch aus diesem Gefängnis?
Im Licht der Daseinsanalyse und Heideggers Philosophie, erscheint das persönlichen Gefängnis der existenziellen Sinn-Depression, letztlich als Bestandteil der seinsgeschichtlichen Lage. Der Ausbruch aus dieser Depression, ist daher von einer Seinsfrage und der Politik nicht zu trennen. Philosophie ist, wie Heidegger schreibt, nichts vom normalen Leben Abgetrenntes, sondern ein notwendiger menschlicher Vollzug, der sich aus der „Transzendenz“ und Sinnfrage des Daseins ergibt.
Während kleiner Affektierte Niedergeschlagenheiten, gerade als Modeerscheinungen in der Gothicszene oft nur ein Kokettieren mit dieser Grundstimmung der Nihilismus sind, während ein Großteil der Blooms eine machbare „Einstellung“ gegenüber und in der sinnlosen Langeweile des Westens gefundet hat, ist bei der eigentlichen Depression, die in der hellen Nacht des Nichts, die totale Sinnentleertheit der Zeit erfahren hat, eine „Heilung“ im Sinne einer individuellen Reperatur nicht möglich.
Das ergibt sich notwendig aus dem Gesagten. Ein Depressiver, der an die Möglichkeit privater Sinnstiftung, durch Hobbies, Familie, Beruf, Engagements, Arbeit und sonstiger Verbesserung seiner Lage glaubt, hat die höhere Sinnlosigkeit des subjektivistischen Nihilismus gar nicht erfahren. Seine „Heilung“, soll heißen Seine Anpassung, die Überschallung des ontologischen Grundrauschen des Nichts, ist deshalb möglich weil er nie eigentlich „krank“ war. Ihm kann ein Pick-upseminar, das ihm einen Onenightstand verschafft, ein Lebenshilfebuch, das zu einem Vorstellungsgespräch führt, oder ein Trainingsplan, der seinen Körperbau verbessert “heilen”. Er war nie eigentlich depressiv.
Die eigentlich Depressiven werden jedoch, ob sie sich dessen bewusst sind oder nicht, niemals wirklich entkommen. Ihr Leiden ist an die Epoche und den Zustand der Welt gebunden. Ihre Depression ist die Trauer über die Flucht der Götter. Kurze Phasen des „Auftauchen“ , in denen man erlebt wie „das umfassende Gefühl von Bedrücktheit, Sinnlosigkeit und eigener Wertlosigkeit wie von selbst weicht“, müssen temporär bleiben. Nur eine echte Auseinandersetzung mit dem Grund der Depression, mit dem „Nichts“ das einen befallen hat, kann eine Veränderung bringen. Diese ist keine Linderung, oder Reparatur sondern eine Verwandlung des Leidens in eine Aufgabe.
Es ist schwer Vermutungen über den Anteil jener „uneigentlich Depressiven“ an den Heerscharen, die an der epidemischen Sinn-Depression leiden, anzustellen. Letztere leiden zwar auch an einem Aspekt der Moderne und des Nihilismus. Jedoch dient ihnen, wie Nietzsche schrieb, nur als “Lüstchen für die Nacht”. Die “Depri-Phase” ist eine Stimmung, die von vornherein als temporäre Verstimmtheit und oberflächliche Melancholie in Kauf genommen wird, nur um sich danach noch intensiver am Hedonismus zu bespaßen. Genau hier kommen wir an einen entscheidenden Punkt. Das gesellschaftlichen Funktionieren Betroffenen, der epidemischen Depression ist nur deshalb möglich, weil ein gigantischer Zerstreuungsbetrieb von der Suche nach dem Grund der Depression ablenkt. Zu vermuten ist, dass mit einer Verschlechterung der Lebensbedinungen und Verschärfung der materiellen Lage die sedative Kraft des Westens versiegt und die Anzahl der eigentlich Depressiven steigen wird. Die abertausenden Depri-Poser, die Gothic-Girlies die ihre Pseudomisanthropie und auf sozialen Netzwerken zur Schau stellen, könnten bald tatsächlich am common ground des Elends aufschlagen. Mit dem Kippen der Gesellschaft in eine wirtschaftliche Depression wird kein „Aufwachen“ erfolgen. Noch fehlt jede Alternative zur herrschenden Ontologie, womit auch jede echte politische Opposition fehlen muss.
Ein Einbruch der Konsumwelt könnte jedoch in einer Zuspitzung zur echten Depression führen, dh eine größere Anzahl an wirklich Suchenden und Fragenden erzeugen, die von einer versprengten Randgruppe zur Bewegung werden könnten.
Dies bedeutet ein geistiges revolutionäres Potential und die Möglichkeit einer Mobilmachung der “Querfront des Elends”. Dieses Potential ist aber nur dann revolutionär wenn es sich die seinsgeschichtliche Bedeutung ihrer Depression erkennen und sie sich darin als „vom Gestell herausgefordert“ erfahren.
Deprivolte gegen die moderene Welt
Dieser Exkurs in die Welterfahrung des Depressiven kann vielleicht aus persönlichen Erfahrungen des einen oder anderen Lesers bestätigt werden. Die Grenze zwischen Depri-phase und eigentlicher Depression an der oft, wie Aristoteles sagte die „außergewöhnlichen Menschen“ leiden, kann natürlich nicht klar gezogen werden. (Aristoteles, Problemata, physica, S. 953a)
Es ist, wie bschrieben, ein tieferes Gefühl und ein „Mehrwissen“ worin „das depressive Leiden das philosophischste Leiden ist. Depressiv wird nur, wer jene zweifache Illusion, die den Menschen gemeinhin vor der nackten Konfrontation mit sich selbst- seinem eigenen Sein, schützt, verloren hat: den illusionären Glauben, das eigene Sein, sei grundsätzlich in Sinn aufgehoben, auch wenn dieser oft verloren bleibe und die alternative Illusion man könne die als unheil erkannten Grundbedingungen des Lebens agierend verbessern.“ Holzhey S. 308
Der eigentlich Depressive ist kein „Sonderfall“, der aus der Art schlägt. Er ist nicht einfach „krank“ und scheitert deswegen an der Normalität. Eher ist die Normatlität selbst „krank“ und er ist einer der wenigen die das erkennen. Sein Erfahrung des Nichts, der totalen Nichtigkeit und Sinnlosigkeit ist keine ungeschichtliche „private Spinnerei“ — es ist Erfahrung der „ontologischen“ Wahrheit dieser Zeit: dass es in ihr keine Wahrheit mehr gibt, dass in ihr die Grundstimmung der Langweile regiert.
Im eigentlich Depressiven „ereignet“ sich etwas. Er ist Zeuge eines geschichtlichen Entzugs von Sein, Sinn und Wahrheit. In ihm konzentriert sich der ungefühlte Schmerz der ganzen Welt über den Tod Gottes und die Entwertung der höchsten Werte auf. Wie die moderne Kunst in ihrer Stilosigkeit und Hässlichkeit so drückt auch die Depression in ihrer Stimmung, die Wahrheit des Seins in seinem Entzug aus. Die eigentlich Depressiven sind vielleicht die letzten „Heiligen“ dieser Zeit die als sinnlos Leidende, „blinde Zeige gen Mitternacht glimmen“ (Trakl), deren Leere Schwärze sie sinnlos niederschlägt. Sie leiden an der Flucht der Götter und halten ihnen ihrem Leid die Treue. Die Faktizität ihrer Depression ist ein Hinweis auf das Sein dieser Göttlichen und die (verlorene) Möglichkeit einer anderen Welt. Was verloren und geflohen ist, ist aber nicht inexistent, sondern kann wiedergefunden werden. Es ist keine Täuschung und Konstruktion, über die man hinweggekommen ist. Das die Welt nicht über die “Götternacht” hinweggekommen ist, beweisen die, die immer noch deswegen Leiden, und sei es nur an der leitbefreiten “Not der Notlosigkeit”, der anderen.
Die Depression ist damit, frei nach Erich Fromm, Zeichen eines „gesunden Sensorium“, gegenüber der Gesellschaft. Und ja: je unverständlicher und „undankbarer“ die Depression ist, je frecher sie angesichts fehlender „echter Problem“ im Leben des Betroffenen erscheint, desto wahrer wird sie vielleicht. Die völlige Grundlosigkeit des Verzweiflens, wenn es einem eigentlich „an Nichts“ fehlt, das Fehlen jedes konkreten, „ontischen“ Grunds für die Depression macht vielleicht ihre „ontologische“ Wahrheit aus. Der Überfluss an Gütern ist der „materielle Druck“ indem sich die Grundstimmung der Langweile festigt. Sie„materialisiert“ sich und tritt in einem konkreten Träger auf der sie sichtbar macht. Die eigentlich Depressiven sind die lebendigen Denkmäler der Seinsvergessenheit und Sinnlosigkeit. In ihnen ereignet sich bewusstlos der letzte Akt der abendländischen Metaphysikgeschichte. Sie sind krank am Willen, in einer Welt des Willens. “Da-sein als Ge-müt die Gestimmtheit durch die Stimme des Seyns.” Heidegger, GA 70 131.
Sie sind die Privation der Partystimmung, die Nichtseienden in einer Welt deren Zentrum und Essenz Wille, Spaß und Machbarkeit sind. Die echte Depression ist Teil des Wärmetods des Willen, den Nietzsche bereits vorhergesehen hat. Anders als die bloße Langeweile des letzten Menschen, trägt sie aber noch etwas „Chaos“ in sich. In ihrem ohnmächtigen Trotz tut sie mehr: sie negiert den Willen an sich als „illusionsschaffende Kraft“, und Werkzeug zur Sinnstiftung. Sie ist das reine, performative Nein zu einer Welt der Machenschaft, des Funktionierens, des DIY-Lebenssinns. In ihr begeht der Wille Suizid. Sie ist seine geschichtliche Selbstaufhebung. Eigentlich Depressive bilden damit die innere Wahrheit des Gestells ab. Ihr Leiden ist vielleicht die letzte Hoffnung auf eine Überwindung der Metaphysik, des Neuzeitlichen Subjektivismus, und einen neuen Anfang, auch und insbesondere wenn ihnen das nicht bewusst ist. Ist ihr Leiden, ein “Phantomschmerz des Daseins”, oder gar erste Geburtswehe eines des letzten Gottes?
Wir wollen im letzten Teil des Textes eine seltsamen und experimentellen Weg andeuten, zu dem aufbrechen könnte, wer sich in der eigentlichen Depression als vom Gestell herausgefordert erfährt. Es ist kein Weg aus der Depression zurück zum gesellschaftlichen Funktionieren und zum guten Leben. Vielleicht aber zu einem tieferen, bewussteren, oder veredelten Leiden.
(Dieser Teil ist nie erschienen.)