Vom Ende der Akademie
VOM ENDE DER AKADEMIE
Intro
Das Ende der Akademie war das Ende einer bestimmten Geisteshaltung. Gewiß werden die Leute weiterhin irgenwie lernen und vielleicht auch forschen, doch eine gewisse Haltung zu beidem scheint mir verloren. Ich kam als Student nach Athen und wollte mir die Antikensammlung ansehen, also zeigte ich meinen Berliner Studentenausweis in der Hoffnung vor, etwas billiger reinzukommen. Dem war nicht so, man schüttelte empört den Kopf. Ich gehöre doch zur Akademie, und da würde man mir kein Geld abnehmen. Ich dürfe selbstverständlich einfach so hinein.
Ich weiß nicht, ob das noch heute so ist. Wie auch immer, es zeigt den Geist, den ich vermisse und von dem ich auch nicht glaube, daß er so bald wiederkehrt. Martin Sellner spricht von der Schwierigkeit der Neuen Rechten, im universitären Milieu Fuß zu fassen, und von der Notwendigkeit, neue rechte Perspektiven zu entwickeln, denn wir agieren derzeit aus einer Position der Schwäche heraus. In dieser Lage ist es weise, sich bestehende Tendenzen zu Nutze zu machen, statt gegen Windmühlenflügel anzureiten, doch bevor wir die Akademie entgültig vergessen, ein kurzer Rückblick.
Ursachen
Dazu gehört auch die Einsicht, daß wir niemals an einer freien Universität nach Humboldts Muster den Ton angeben werden. Schauen wir uns das Beispiel der FU Berlin an. Die wurde gegründet, um der stalinistischen Unterdrückung an der Humboldt-Universität ein freiheitliches Vorbild entgegenzusetzen. Dennoch dauerte es trotz Mauerbaus keine zwanzig Jahre, bis die Kommunisten auch an ihr den Ton angaben, bis Forschung und Lehre gleichgeschaltet waren. Nun ist der Ort der Freiheit vielleicht stets eine flüchtige Angelegenheit. Doch wenn das so ist, dann läßt er sich heutzutage leichter finden, vorausgesetzt, man bleibt ihm auf der Spur. Ich meine mit dem Ort der Freiheit nicht das Internet selbst, doch hinterläßt sie dort ihre frischesten Spuren. Ich denke eher an Seminare wie jene, die Bernd Senf in seiner Freizeit an der Fachhochschule für Wirtschaft anbot. Nun war Humboldts Universität etwas anderes als Platons Akademie, und auch diese war, wenn wir Jan Assmann folgen, schon ein Notbehelf, da der Weg der Eingeweihten, die Überlieferung von Mund zu Ohr, nicht mehr funktionierte.
Der Konsens, der im Abendland vor dessen Untergang über das Wesen der Akademie herrschte, war mehr von ungefähr. Er verdankte sich mehr Ehrgeiz und Neid denn Einsicht und Vernunft. Die Anreden und Titel mußten vergleichbar sein, wenn man damit angeben wollte. Die Unterscheidung von Meister und Schüler, aus welcher der Magister erwuchs, war bald nicht mehr genug, man erfand den Doktor und den Bacchalaureus, später vergaßen wir, daß eine Professur lediglich eine Tätigkeit bezeichnete. Deshalb ja auch die Frage nach der Befähigung dazu, der Habilitation. Im Deutschen scheint mir der Höhepunkt dieses europäischen Wunderwerks von Freiheit und Erkenntnis sprachlich durch einen Wechsel der Bezeichnung markiert. Aus der Naturphilosophie wurde die Naturwissenschaft. Die Weisheit verkam zum Wissen, und alle Welt verfiel dem Blendwerk der erbsenzählenden Zauberlehrlinge. Ein Übergang, den Spengler zweifellos bemerkt hat, siedelt er doch den Höhepunkt der abendländischen Zivilisation kurz vor dem Boom der Naturwissenschaften an. Wenn wir uns fragen, wer es verbockt hat, finden sich die üblichen Verdächtigen, Galileo mit seinem Verzicht, lediglich das messen zu wollen, was messbar ist oder messbar gemacht werden kann, oder, wenn wir so wollen, auch Descartes mit seiner Geistererscheinung in einem Feldlager des Dreißigjährigen Krieges, die ihm gebot, die Natur mit Zahlen zu bändigen.
Folgen
All die Machenschaften, die uns so töricht anmuten und die sich Moderne nennen, sind vor dem Selbstanspruch, der für uns möglich ist, nur Mode. Sie haben auch nur die Zukunft einer Mode. Eben darum haften sie so sehr am Jetzt, wollen es endlos verlängern. Konservatismus ist etwas anderes, er lebt gerade vom Überdruß am Hier und Jetzt. Das Unwesen der Moderne hingegen findet seine Rechtfertigung in diesem Ende der Akademie, das nun schon recht lange währt, man schmückt sich mit den geistigen Trophäen einer glänzenden Vergangenheit. Wenn die Moderne das ewige Jetzt braucht, dann will sie die Neuheit zum Zwecke der Ablenkung, jedoch keine Errungenschaft der Erkenntnis, die ja Geschichte bedeuten würden.
Fast scheint es müßig, hier gegenwärtige Symptome des Endes der Akademie aufzuzählen. Ich erinnere jedoch an Nick Lands „Dark Enlightenment“ (http://www.thedarkenlightenment.com/the-dark-enlightenment-by-nick-land/), die dunkle Seite der Aufklärung, das uns schonungslos mit der Tatsache konfrontiert, daß der akademisch-industrielle Komplex einen so unzweifelhaften Wahrheitsanspruch entwickelt hat, der schlimmer ist, als es derjenige der römischen Kirche je war. Die Kirche hatte immer noch einen unerfindlichen Gott, der zumindest einen hypothetischen Ausgang bot. „Die Kathedrale“, wie Land den akademisch-industriellen Komplex nennt, kennt diesen Gott nicht mehr, sie kennt unstrittige Mehrheitsentscheidungen per Peer-Review, lächelt, wenn sie damit den Abschied von der sokratischen Wahrheit eingesteht, winkt stattdessen mit der Drittmittelwerbung, fordert den Bolognaprozeß… vom Erkenntniswert der Genderstudies wollen wir schweigen, jeder Leser kann die Liste leicht fortsetzen. Wer hier, einhundert Jahre nach Max Webers „Wissenschaft als Beruf“ und nach Jahrzehnten der Reförmchen, noch Besserung verspricht, ist ein Schelm.
Ausblicke
Was ist jedoch wirklich schlimm an alldem, wenn die Gegenwart von ihren Gewinnern leichthin als postfaktisch abgetan wird, während Kinderkreuzzüge und gleichgeschaltete Massenmedien den Diskurs längst erdrosselt haben? Gar nichts, solange wir unseren Selbstanspruch nicht von dem Gestell der Klicks und Einschaltquoten abhängig machen. Wer sind wir? In diesem Fall wohl die wenigsten, diejenigen, die Gefallen finden an solchen Schnurren wie freiem Gedankenaustausch und der Fähigkeit, diesen in gegebenem Rahmen zu verfeinern. In einer gleichgeschalteten Universität kann die Meinungsbildung definitionsgemäß sowieso nicht mehr stattfinden. Wir sind auf der Flucht, auf der Flucht vor dem Marktgeschrei der endlosen Kasbah (Marktplatz wäre doch wohl zu eurozentrisch) in dem globalen Dorf mit seinen muffigen Gedankenghettos, in die man uns gepfercht hat. Wir suchen dieses Stück Wald, wo wir uns treffen können, doch das ist weit. Bis dahin folgen wir den Dissidenten, den Eingeweihten, die etwas retten konnten. Was meine ich damit?
Schweigen wir von Wahrheit,
begnügen wir uns mit Tatsachen und der Einscht, daß auch Tatsachen nur mehr ausgehandelt werden. Die Intersubjektivierbarkeit beschränkt sich , soweit von politischer Korrektheit nicht anders erzwungen, auf Neigungsgruppen. Dies ist ein Verweis, mag er unseren nostalgischen Neigungen auch barbarisch erscheinen. Ich will versuchen, mich in Richtung Gegenwart durchzuschlagen, das alte Gepäck des 19.Jdts. von dem so viele noch träumen, endlich abwerfen. Das, was sich heutzutage Universität nennt, ist bestenfalls ein Ausbildungsbetrieb für das Gestell, die Diktatur des Sachzwangs, meist jedoch nur ein Eunuchenkloster für Planungspriester. Die Denker haben den Laden längst verlassen oder innerlich gekündigt. Als Beispiele für den deutschsprachigen Raum mögen hier Daniele Ganser oder der oben genannte Bernd Senf genügen.
In der Anglosphäre hat diese Absetzbewegung natürlich schon längst einen Namen, und auch die entsprechende Industrie beginnt sich zu formen, es heißt „alternative research“, etwa alternative Forschung. Die Sache ist mindestens so widersprüchlich und zerstritten, wie es die Akademie zu ihren besten Zeiten war. Der Unterschied, den ich begrüße, liegt darin, daß hier der Nimbus der Allwissenheit fehlt, und mag Harald Lesch noch so oft behaupten, „die Kathedrale“ sei kritikfähig und würde sich emporirren, hier wurde längst mit den Füßen abgestimmt. Dieser Anspruch der Allwissenheit hat der Akademie den Garaus gemacht. Herdentrieb und Denkfaulheit funktionieren bei „alternative research“ indes genauso gut wie im Apparat, und es gibt genauso wenig Sicherheit und Vertrauen in die Erkenntnis, dafür aber auch keine Pöstchen und Karrieren zu ergattern. Es wird vielleicht nicht mit dem Hammer philosophiert, doch ist der Intellekt ist ganz anders gefordert, außerhalb der Akademie frei von den Balletstangen der Ideologiekritik und anderen spanischen Stiefeln.
Die Leute hier draußen haben Fans, Anhänger und manchmal auch Jünger, die ihnen zuarbeiten, ihre Lehren verbreiten, die sie aber auch kritisieren und die sich vernetzt haben. Hier wird viel von dem geleistet, wofür einmal Seminare und Symposien gedacht waren. Das ist ein vorsokratischer Zustand. Meister ziehen mit ihren Schulen durch die Welt, heutzutage von Lesung zu Livestream zu Podcast und zurück. Scheine, Prüfungen und Standards gibt es hier nicht, doch wir können auf Anerkennung nach Verdiensten hoffen. Es besteht die Aussicht auf eine geistige Meritokratie.
Ich will auf Sellners Bedenken kommen, die ich eingangs erwähnte. Wie soll man Metapolitik machen? Es sind die Grüppchen und Klüngel in den Nischen der geistigen Monokultur, die den Geist anlocken. Es sind die Wenigsten, die sich dort finden, und das ist doch recht nahe an unserer angestrebten Vorstellung von Elite. Wie findet man einander? Na, das ist so ähnlich wie mit der Sauferei in Zeiten der Prohibition, man muß nur etwas suchen. Ein Speak Easy hatte keine Leuchtreklame, und wie schon Timothy Leary der ältere sagte: Prohibition ist schlimm genug, aber immer noch besser als gar nicht saufen… Folge dem Lambda.